Feuernacht
Einkaufszentrum parkten, erzählten eine ganz andere Geschichte, und obwohl Matthias schon seit fast zehn Minuten den Eingang beobachtete, hatte niemand das Gebäude betreten oder verlassen. Er konnte sich noch gut erinnern, was dort vor eineinhalb Jahren, eine Woche vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft, los gewesen war, als er mit Dóra und Sóley für die Kleine Turnschuhe gekauft hatte. Beim Anblick des Preises für die schlichten Schuhe, die sich Sóley ausgesucht hatte, bekam er fast einen Herzinfarkt. Die Shoppingtour war von vorne bis hinten missglückt, und er hatte das Einkaufszentrum nie wieder betreten. Sie waren durch die Gänge geirrt, wo man bei jedem zweiten Schritt mit jemandem zusammenstieß und niemand sich entschuldigte. Dóra war genervt, als sich Sóley endlich für ein Paar Schuhe entschied – natürlich für die, die sie als erste anprobiert hatte –, und zahlte ohne zu murren den verlangten Preis, weil sie ihn für ein akzeptables Lösegeld hielt, um das Gebäude endlich verlassen zu dürfen. Sóley hatte die Schuhe dann nur zweimal angehabt, weil sie sie letztendlich doch unbequem fand. Vielleicht sollten sie das Spiel noch mal wiederholen – und würden diesmal mit bequemen Schuhen für einen annehmbaren Preis hinauskommen.
Matthias schaute auf seine Armbanduhr. Er war zu früh, weil er befürchtet hatte, den Ort, wo er mit Tryggvis Schwester Lena verabredet war, nicht zu finden. Sie hatte ihn aus heiterem Himmel angerufen und gesagt, sie müsse mit ihm reden – unter vier Augen. Da diese Aussicht wesentlich spannender war als mitzuverfolgen, wie sich Dóras Eltern darüber stritten, was ungesünder war, Tee oder Kaffee, hatte er sofort zugesagt. Anschließend hatte er versucht, Dóra anzurufen, sie aber weder in der Kanzlei noch über Handy erreicht, und Bella war natürlich auch nicht ans Telefon gegangen. Matthias konnte nur hoffen, dass er das Richtige tat, wartete jetzt nervös vorm Haupteingang der Uni, wo er verabredet war, und musterte die jungen Leute, die das Gebäude betraten und verließen. Sein Blick war zum Einkaufszentrum gewandert, weil ihm das weniger unangenehm war, als die Vorbeigehenden anzustarren.
Plötzlich nahm der Betrieb am Haupteingang zu. Ein paar Studenten blieben stehen, froh, dass ihr Seminar zu Ende war, und versuchten eine Weile vergeblich, ihre Zigaretten anzuzünden, bis sie endlich genug Schutz vor dem Wind gefunden hatten. Der Rauch störte Matthias weniger, als dass die Studenten den Eingang verstellten. Er würde Lena von hinten nicht erkennen und war sich nicht sicher, ob sie lange warten würde, wenn sie ihn nicht sofort draußen sah. Er ging ein Stück von der Gruppe weg und wurde von einer dichten Menschenmenge erfasst, die aus dem Gebäude strömte. Die Hälfte der jungen Frauen hätten der Größe, Figur und Haarfarbe nach Lena sein können, aber ein leichtes Tippen auf der Schulter bewahrte ihn davor, jedes Gesicht studieren zu müssen.
»Hi, wartest du schon lange?«, fragte Lena lächelnd, und ihre schönen, weißen Zähne blitzten auf. Der Zigarettenrauch eines jungen Mannes, der nicht weit von ihr entfernt stand, schwebte auf sie zu, und sie verzog das Gesicht und wedelte mit der Hand. »Igitt, seit ich aufgehört habe zu rauchen, finde ich das total eklig.« Sie war zwar nach der neuesten Mode gekleidet, aber weniger nach dem Wetter, und trug keine Mütze. Ihr langes Haar wirbelte um ihren Kopf, was sie nicht zu stören schien. Über ihrer Schulter hing eine schwere Tasche, so dass sie ein bisschen schräg stand.
»Wer ist das?« Eine junge Frau in Lenas Alter, die nicht ganz so hübsch war wie sie, schaute Matthias herablassend an.
»Niemand, den du kennst. Ruf mich später an, wir können ja heute Abend zusammen die Aufgaben machen.« Nachdem Lena ihre Freundin mit diesen Worten abgekanzelt hatte, schien sie Luft für sie zu sein, obwohl sie immer noch mit wütendem Gesicht neben ihnen stand. Dann machte die Freundin auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Studentenmenge. »Sorry, sie ist schon in Ordnung, aber manchmal ein bisschen anstrengend.« Ein junger Mann stieß brutal gegen Lenas Schulter, was sie gar nicht kümmerte. Ihre Tasche schwang vor und zurück und knallte dumpf gegen ihren Oberschenkel. »Sollen wir ins Kringlan gehen? Da können wir uns in Ruhe unterhalten. In der Uni gibt’s zwar auch ein Café, aber das ist jetzt tierisch voll.«
»Ja, gut.« Sie mussten eine Weile warten, bis sie die Straße
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