Feuernacht
er könnte ihre einzige Tochter, die Enkelkinder und den Urenkel aus Island wegholen. Außerdem war er ihnen suspekt, weil er keinen Job bei der neuen Bank angeboten bekommen hatte, die aus den Ruinen der alten hervorgegangen war. Er war einfach zu teuer und eben Ausländer. Matthias hatte noch keine geeignete Arbeit gefunden, und die Aussichten waren alles andere als rosig.
Wieder lächelte ihr Vater, diesmal schon weniger optimistisch. »Das wäre, wie gesagt, nur übergangsweise. Ich bin davon überzeugt, dass die Krone wieder steigt, und dann können wir nach Spanien fahren und einige Zeit in dem Haus verbringen, aber im Moment können wir uns das einfach nicht leisten.« Er wollte sich also einen Job suchen und erst mal in den Urlaub fahren …
Dóra erwiderte sein Lächeln mit gemischten Gefühlen. »Selbst wenn ihr die ganze Zeit bei mir wohnen müsst, ist das schon in Ordnung. Ihr seid natürlich herzlich willkommen. Die Kinder sind ja jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater, dann ist es ruhiger, und wir haben mehr Platz.« Als sie das gesagt hatte, merkte sie, wie sehr sie es vermissen würde, ein paar Tage im Monat mit Matthias alleine zu sein. Sie war wirklich nicht erpicht darauf, ihm die Neuigkeiten zu überbringen.
In dem Moment riss Bella die Bürotür auf, und Dóra dachte wieder mal darüber nach, ob es nicht vernünftiger wäre abzuschließen, wenn sie in Ruhe mit jemandem reden wollte. Aber davon würde sich Bella wahrscheinlich auch nicht abhalten lassen.
»Hast du meinen Hefter geklaut?« Bella stand breitbeinig im Türrahmen, die Hände in die ausladenden Hüften gestützt, und starrte Dóra drohend an.
»Nein, Bella«, antwortete Dóra ruhig, »habe ich so was jemals getan?«
»Er ist jedenfalls weg, und du bist die Einzige die ihn geklaut haben könnte.«
»Man stiehlt keine Dinge, die einem selbst gehören. Und da mir diese Kanzlei gehört, kann ich hier nichts
stehlen
.« Dóra schaute in Bellas zusammengekniffene Augen. »Würdest du bitte das nächste Mal anklopfen? Und mach die Tür hinter dir zu, wenn du wieder gehst. Sofort!« Dóra wollte Bella loswerden, bevor deren Blick auf den Hefter auf dem Schreibtisch fallen würde. Dóra hatte ihn sich gestern Morgen geliehen, als die Sekretärin noch nicht eingetroffen war, und vergessen, ihn zurückzugeben. Aufgrund ihres angespannten Verhältnisses hätte Dóra das natürlich nie zugegeben.
Bella machte auf dem Absatz kehrt, ohne etwas zu erwidern, ließ aber zur Unterstreichung ihres Sieges mit technischem K.o. die Tür offen stehen. Dóras Eltern verfolgten die Szene fassungslos, und als die stampfenden Schritte der Sekretärin zu erkennen gaben, dass sie außer Hörweite war, flüsterte ihre Mutter: »Könnt ihr diese Sekretärin nicht mal loswerden? Die ist ja sowas von unverschämt!«
Dóra schüttelte den Kopf. »Das ist ziemlich kompliziert.« Die Kanzlei hatte Bella am Hals, weil sie die Tochter des Vermieters und im Mietvertrag inbegriffen war.
»Das ist ja wirklich ärgerlich«, murmelte Dóras Mutter und zog ihre Handtasche an sich, so als rechne sie damit, dass sich Bella von hinten anschleichen und die Tasche von der Stuhllehne stibitzen würde.
»Also, dann wollen wir dich mal nicht länger stören, Dóra.« Ihr Vater stand auf. »Du hast bestimmt viel zu tun. Wir gehen jetzt zur Immobilienfirma und besprechen das Angebot.«
Dóra schluckte. »Ja, macht das.« Sie begleitete die beiden zur Tür, eilte dann zurück in ihr Büro und wählte Matthias’ Nummer, um ihn über die neueste Wendung in ihrem Leben zu informieren. Er würde bestimmt hocherfreut sein. Bevor Dóra zu Ende gewählt hatte, piepte ihr Handy und kündigte eine SMS an. Aus Neugier hielt sie inne, legte den Hörer wieder auf und nahm stattdessen ihr Handy. Die Nachricht kam über den Telefonanbieter
ja.is
. Dóra öffnete sie in der Annahme, dass der Name des Absenders im Display erscheinen würde, aber so war es nicht. Sie hatte keine Ahnung, was die SMS bedeuten sollte:
schwanger
Plötzlich wurde sie von Entsetzen gepackt. Erwartete Gylfis Freundin Sigga etwa schon wieder ein Kind? Sofort rief sie ihren Sohn an, der vollkommen überrascht war und ihr versicherte, Sigga sei nicht schwanger und habe auch nicht vor, es zu werden. Dóra atmete erleichtert auf, hatte aber trotzdem ein ungutes Gefühl.
3 . KAPITEL
MITTWOCH ,
6 . JANUAR 2010
Kein Wunder, dass die Plastikmappe eingerissen war. Noch ein Blatt mehr, und das Ding wäre geplatzt.
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