Feuernacht
Immobilienmarkt ist genauso tot wie der isländische.« Dóra atmete tief durch. Ihre Eltern waren nicht die Ersten, die bei ihr auftauchten und eine magische Lösung für ihre unüberwindbaren Finanzprobleme haben wollten. »Was habt ihr euch denn vorgestellt?«
»Tja, wir haben da so eine Idee.« Sie wechselten einen Blick. »Dieses blöde Haus in Spanien lässt sich nur wochenweise vermieten, aber unser Haus hier in Island steht auch zum Verkauf, und wir haben schon ein gutes Angebot bekommen, das es uns ermöglichen würde, den Kredit so weit abzubezahlen, bis wir einen realistischen Preis für das Sommerhaus erzielen können. Wir haben auch eine vernünftige Wohnung gefunden, die so günstig ist, dass die ganze Sache aufgehen sollte. Das einzige Problem ist, dass wir unser Haus sofort abgeben müssen, aber die Wohnung erst in zwei Monaten bekommen. Das heißt, falls wir das alles so machen …« Dóras Mutter hatte aufgehört zu nicken und beobachtete gespannt die Reaktion ihrer Tochter.
»Und wo wollt ihr solange wohnen?« Dóra schluckte. Sie war Einzelkind.
»Tja, wir dachten, wir könnten vielleicht bei dir unterkommen.« Jetzt lächelten sie beide breit. »Das würde uns wirklich nichts ausmachen, und wir könnten uns auch im Haushalt nützlich machen.«
Dóra konnte sich nicht erinnern, je in einer so brenzligen Lage gewesen zu sein. Natürlich wusste sie, dass sie ihren Eltern helfen musste. Sie hatten sie ihr ganzes Leben lang unterstützt und es verdient, dass sie Verständnis für sie aufbrachte. Die moralische Zwickmühle, in der sie sich befand, hing mit ihren eigenen Wohnverhältnissen zusammen. Sie lebte zwar in einem recht großen Haus, aber es gab einfach schon zu viele Familienmitglieder: neben ihr selbst noch ihre beiden Kinder, die zehnjährige Sóley und der neunzehnjährige Gylfi, plus dessen Freundin Sigga und deren bald dreijährigem Sohn Orri. Kürzlich war auch noch Dóras deutscher Freund Matthias dazugekommen, mit dem sie seit ein paar Jahren zusammen war. Wenn jetzt auch noch die vierte Generation bei ihnen einzog, hatten Dóra und Matthias überhaupt kein Privatleben mehr.
»Verstehe«, war ihr einziger Kommentar.
»Das ist natürlich nur eine Notlösung, vielleicht wäre es ja noch nicht mal für die kompletten zwei Monate«, murmelte ihr Vater und versuchte, souverän zu wirken. »Ich suche mir einfach einen Job, und wir mieten uns ein Hotelzimmer oder übergangsweise eine möblierte Wohnung.«
Die Nachrichten von steigenden Arbeitslosenzahlen waren offenbar an ihm vorbeigegangen. Dóra wollte ihn nicht ärgern und darauf hinweisen, dass sich die Zeiten, seit er in Rente gegangen war, geändert hatten. Außerdem gab es zurzeit kaum Nachfrage nach Leuten, die ihr ganzes Leben lang in einer Bank gearbeitet hatten, selbst wenn sie es am Ende ihrer Karriere bis zum Filialleiter gebracht hatten. Im Grunde konnte ihr Vater nichts anderes, als sich mit dem Geld anderer Leute zu beschäftigen, was es umso schwieriger machte zu begreifen, warum er sich zu diesem hoffnungslosen Deal hatte hinreißen lassen. Zudem waren ihre Eltern auch noch doppelt reingelegt worden – sie hatten ihre Ersparnisse in einem Aktienfonds angelegt, der sich angeblich ohne jegliches Risiko stark verzinsen sollte, und dann hatte man ihnen auch noch einen Kredit aufgeschwatzt für alles, was das Herz begehrte. Das Geld, das sie in dem Fonds angelegt hatten, war auf ein Drittel der ursprünglichen Summe zusammengeschrumpft, und jetzt steckten sie richtig in der Klemme. Sämtliche Ersparnisse waren weg, und die Schulden bei der Bank lähmten sie.
Nachdem ihre Eltern die deprimierende Lage erläutert hatten, verstand Dóra, warum sie so nervös gewesen waren. Zuerst hatte sie gedacht, sie hätten mit ihr über ihr Testament reden wollen – ein lächerlicher Gedanke angesichts der Tatsache, was sie in Zukunft einmal erben würde. »Wir werden schon eine Lösung finden«, murmelte sie und presste ein Lächeln hervor.
»Ich weiß, dass es eng bei euch ist, aber wir können uns doch vielleicht in der Garage einquartieren«, schlug ihr Vater erwartungsvoll vor. »Ich könnte sie so einrichten, dass man gut darin wohnen kann. Gylfi würde mir bestimmt dabei helfen und dein Freund, dieser Deutsche, vielleicht auch.« Dóras Eltern waren Matthias gegenüber nicht sehr aufgeschlossen, und das hatte zwei Gründe: Zum einen sprachen sie kein Deutsch und ziemlich schlecht Englisch, und zum anderen befürchteten sie,
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