Feuernacht
wie der Brandgeruch bei dem Gedanken an die Katastrophe stärker wurde. »Ganz schöne Stümperei, vielleicht wurde das Verfahren ja deshalb so schnell durchgezogen. Irgendwie merkwürdig. Oder es war nicht möglich, den Angeklagten während der Ermittlungen in einer normalen Untersuchungshaft unterzubringen.«
Matthias ging in das erste Appartement, und Dóra folgte ihm. Sämtliche Einrichtungsgegenstände waren entfernt worden, und die kleinen Räumlichkeiten ließen sich kaum als Wohnung bezeichnen. Schlafbereich, Kochecke und Wohnzimmer befanden sich in einem Raum, wobei das Bett in einer Nische neben dem geräumigen Badezimmer untergebracht war. Sie warfen einen Blick hinein und sahen, dass es auf die Bedürfnisse eines Schwerbehinderten ausgerichtet war. Die Dusche war mindestens doppelt so groß wie Dóras und hatte viele an der Wand befestigte Griffe und Halterungen. Der Duschvorhang hing in Fetzen von der Decke, rußig, zerknittert und von Hitze und Feuer angesengt. Dóra überlegte, ob sie zu Hause eine Duschkabine in dieser Größe einbauen lassen sollte, da sich bald neun Personen eine Dusche teilen mussten. Matthias hatte die anstehende Veränderung bisher positiv aufgenommen, aber Dóra wusste, dass das reine Höflichkeit war. Ihm graute genauso davor wie ihr, wenn nicht gar mehr. Jetzt, da er seinen Job in der Bank nicht mehr hatte, würde er die meiste Zeit des Tages mit ihren Eltern zu Hause verbringen. Wenn es so weit war, musste sie ihn öfter mitnehmen, sonst würde die Situation bestimmt bald eskalieren. Dóra hatte sogar schon über ein von ihrer Freundin in höchsten Tönen gelobtes Brazilian Waxing nachgedacht, um ihn zu überraschen – auch wenn es sich beim ersten Mal so anfühlte, als würde einem bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.
»Weißt du, wer hier gewohnt hat?« Matthias versuchte, einen halbverbrannten Kleiderschrank neben dem Bett zu schließen. Bis auf die Regalbretter, die verkohlt auf dem Boden lagen, war er leer.
»Ich glaube, die Zimmer der körperlich am schwersten Behinderten waren gegenüber vom Gemeinschaftsbad. Wo die anderen gewohnt haben, muss ich noch mal nachschauen. Jetzt kann ich mir auch leichter eine Skizze machen.«
Sie gingen durch die anderen Appartements, und als sie das vierte betraten, sahen sie sofort, dass es für eine stark behinderte Person bestimmt war. Das Bad war genauso groß wie die anderen, aber es gab keine Dusche, und an der Decke war eine Schiene befestigt, die in verschiedene Richtungen führte: zur Toilette, wo sie über einem wuchtigen Klo endete, bis zu der Stelle, wo vermutlich das Bett gestanden hatte, und weiter in den Flur. Die Schiene führte in ein großes Bad und endete über der größten Badewanne, die Dóra je gesehen hatte. In der Wanne hingen massive Stahlbügel, an denen zwei Gurte befestigt waren. »Was ist das denn für ein primitives Gerät?« Dóra stieß die Gurte leicht an. »Ob das dazu da ist, um Leute zwischen den Zimmern hin- und herzutransportieren?«
Matthias stoppte das Schwingen der Gurte. »Sieht ganz so aus, sie werden ja wohl kaum Wassereimer für die Badewanne drangehängt haben. Da waren bestimmt noch Seile dran, die verbrannt sind.« Er versuchte, das Gerät über die Schiene zu ziehen, aber es schien sich verkantet zu haben und bewegte sich nur ein paar Zentimeter. »Damit wurden bestimmt die Bewohner transportiert, auch wenn man sich das nur schwer vorstellen kann.«
»Mein Gott.« Dóra zog es das Herz zusammen. Wie sich Menschen mit einer so starken Behinderung wohl fühlten? Vielleicht war es weniger schlimm, wenn man so auf die Welt gekommen war und es nicht anders kannte. Dóra musste sich bei diesem Fall wohl auf einiges gefasst machen. Sie gingen in das nächste Appartement, das ebenfalls über die Schiene verbunden war und fast genauso aussah wie das vorherige. Der einzige Unterschied war ein Kasten mit Anschlüssen an der Wand neben dem Bett, wie Dóra ihn aus Krankenhäusern kannte. Die Beschriftung auf den Plastikschildchen darunter war nicht mehr zu lesen.
»Das ist bestimmt für Sauerstoff.« Matthias hatte sich über den Kasten gebeugt und richtete sich wieder auf. »Wer hier gewohnt hat, brauchte nachts wahrscheinlich Sauerstoff.« In dem trüben Licht sah Dóra, dass er die Stirn runzelte. »Sehr unschön, sich bei einem Brand in der Nähe eines Sauerstoffanschlusses aufzuhalten. Feuer braucht Sauerstoff, und wenn es so was in jedem zweiten Zimmer gab, ist das vielleicht die
Weitere Kostenlose Bücher