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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Glück würde Dóra hoffentlich die Wichtigsten aussieben. Glódís hatte ihr auch die Namen der Eltern der Bewohner gegeben, was eine Menge Arbeit ersparte. Dóra war sich sicher, dass eine dieser Personen wusste, wie Lísas Kind entstanden war – falls der Name des Vaters nicht sogar auf einer der Listen stand.
    Dóra fischte ihr Handy aus dem Krempel in ihrer großen Handtasche und rief bei der Auskunft an. Sie wollte die Zeit bis zum Eintreffen ihres Mandanten nutzen, um mit Jakobs ehemaligem Verteidiger zu sprechen, einem Anwalt, den das Gericht auch zu seinem Betreuer bestimmt hatte. Sie hatte schon ein paar Mal versucht, Ari Gunnarsson zu erreichen, aber er hatte nicht zurückgerufen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als es weiter zu versuchen, da Aris Einblicke in den Fall von großem Nutzen waren. Außerdem wollte sie ihn persönlich über ihre Pläne unterrichten, nicht nur per Anrufbeantworter.
    Dóra hatte Aris Namen in den Prozessunterlagen sofort wiedererkannt. Er war einer der Anwälte, an die man Verhaftete verwies, wenn sie mit einem Anwalt sprechen wollten. Soweit Dóra wusste, ein ganz netter Typ, nicht besonders intelligent, aber auch kein Trottel. Sie konnte sich dunkel daran erinnern, dass in der Anwaltschaft mal Geschichten kursierten, Ari sei vor ein paar Jahren kurz davor gewesen, wegen Privatinsolvenz sein Anwaltsrecht zu verlieren, aber dann noch mal mit dem Schrecken davongekommen. Der Mann hatte kein besonderes Renommee, daher war es interessant zu erfahren, wie Jakob an ihn gekommen war. Vielleicht hatten Jakob oder seine Mutter einfach auf den erstbesten Namen im Alphabet getippt.
    Beim zweiten Versuch nahm Ari den Hörer ab. Er schien beim Mittagessen zu sein. Nuschelnd sagte er, Dóra sollte unbedingt vorbeikommen, dann hätte er wenigstens eine Entschuldigung, den langweiligen Fall, an dem er gerade säße, aufzuschieben. Er entschuldigte sich dafür, ihre Nachrichten nicht beantwortet zu haben, aber das sei irgendwie untergegangen. Nachdem er hörbar etwas heruntergeschluckt hatte, konnte er deutlich genug sprechen, um ihr die Adresse seiner Kanzlei durchzugeben. Wie zu erwarten, war sie nicht weit entfernt – die meisten Anwälte hatten ihre Büros in der Innenstadt. Aris Kanzlei befand sich in einem unauffälligen Gebäude auf derselben Etage mit ein paar kleinen Firmen und einem Zahnarzt. Der schien keine Mittagspause zu machen, denn aus seiner Praxis drang das jaulende Geräusch eines Bohrers.
    Aris Büro war grauenhaft. Offenbar arbeitete er alleine, denn in dem geräumigen Zimmer war nur ein Schreibtisch. An den Wänden standen Regale, in die wahllos irgendwelche Unterlagen gestopft worden waren. Ein Sofa, das schon bessere Zeiten erlebt hatte, stand unter dem Fenster, war aber unter Papierstapeln, Akten und Büchern kaum zu sehen. Sogar der Fußboden diente als Aktenarchiv, und Dóra hatte den Eindruck, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis nur noch ein schmaler Pfad von der Tür zum Schreibtisch und zu dem verschlissenen Besucherstuhl führte. Als Ari sie hereinbat, nahm sie dort Platz. Er verhandelte gerade am Telefon über einen Autoverkauf, wobei er mehr für das Fahrzeug haben wollte als das, was der potentielle Käufer zahlen wollte. Ein halbgegessenes Sandwich in einer raschelnden Plastikhülle schwang hin und her, wenn Ari seinen Worten gestikulierend Nachdruck verlieh. Dabei fiel ein Stück von einem grünen Salatblatt zwischen den Brotscheiben heraus und landete auf dem Computerbildschirm. Langsam rutschte es herunter, während Ari den Mayonnaisestreifen vom Bildschirm abwischte. Schließlich verabschiedete er sich, ohne den Kauf abgewickelt zu haben, und lächelte Dóra an.
    »Entschuldige bitte, mir war nicht klar, dass du so schnell hier bist.« Dóra murmelte irgendetwas Höfliches, konnte ihren Satz aber nicht zu Ende bringen, da Ari ihr ins Wort fiel: »Aber egal, was kann ich für dich tun? Du arbeitest also an der Wiederaufnahme von Jakobs Fall? Wie kommt es denn dazu?«
    Dóra erzählte ihm ausführlich von ihrem Auftrag und ihrem Anliegen. »… und da du Jakobs Verteidiger warst, hoffe ich, dass du ein paar Informationen hast oder mich auf etwas hinweisen kannst, das dir aufgefallen ist, irgendwas Ungewöhnliches.«
    Ari lachte kurz auf. Er war ziemlich füllig, und seine Wangen zitterten beim Lachen. »Das Ungewöhnlichste an dem Fall war der Mandant. Der war total gaga. Ich verteidige bestimmt nicht noch mal einen geistig Behinderten, das war,

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