Feuernacht
vielleicht gibt es noch mehr. Bist du sonst auf irgendwas gestoßen, von dem du meinst, dass es für deine Verteidigung unerheblich war?«
»Nein, ich schwöre dir, da war nichts. Wenn es so wäre, würde ich es dir sagen.« Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, so dass die Rückenlehne knarrte. »Ich kann dir ja ruhig erzählen, dass ich damals alle Hände voll zu tun hatte. Im Nachhinein betrachtet, hatte ich vielleicht nicht die nötige Zeit, um sämtliche Details zu berücksichtigen. Aber das hätte garantiert auch nichts geändert. Alle Indizien sprachen gegen Jakob, und der Richter wäre vagen Theorien gegenüber bestimmt nicht sehr aufgeschlossen gewesen.« Er drehte sich zu einem schiefen Bücherregal, das hinter ihm stand. »Ich kann dir natürlich meine Unterlagen leihen, die müssen hier noch irgendwo sein.« Er lächelte ihr neckisch zu. »Ich schmeiße nicht gerne Dinge weg, wie du vielleicht bemerkt hast.« Dóra erwiderte sein Lächeln nicht.
»Das meiste habe ich schon von Jakobs Mutter bekommen.«
»Das ist nur ein Teil der Unterlagen, die hat sie von mir.« Ari zog wahllos ein paar Aktenordner heraus. »Sie ist eine alte Frau, es wäre nicht gut für sie gewesen, alles zu sehen. Bevor du dich aufregst, solltest du wissen, dass es da Aspekte gab, die wirklich nicht schön waren. Auch ein Grund, warum ich mich nicht hundertprozentig in den Fall vertiefen konnte. Es gab viel zu viele Details, viel zu deprimierend und viel zu bizarr, als dass man sie vollständig hätte begreifen können.«
»Inwiefern?« Dóra wusste nicht, worauf der Mann hinauswollte. Wenn er die Beschreibungen der behinderten Bewohner und der Arbeit der Einrichtung so abstoßend fand, hätte er den Fall ablehnen sollen.
»Diese Leute waren alle mehr oder weniger seltsam, sowohl die Bewohner als auch die Mitarbeiter. Diese sogenannten Fachkräfte wurden alle vorgeladen und waren so was von abgehoben, da war ich nicht der Einzige, dem es gereicht hatte. Die scheinen wirklich der Meinung zu sein, wir sollten am besten alle unseren Job kündigen und sinnvollere Dinge tun, wie zum Beispiel Behinderte zu pflegen. Unglaublich, was die für diese Typen alles gemacht haben, und meiner Meinung nach völlig umsonst.«
Dóra räusperte sich, um nicht losschreien zu müssen. Ob ein so widerwärtiger Mensch wie Ari das Heim aus Hass gegen Schwächere abgefackelt hatte? Nach dem Finanzcrash war schon allerlei vorgefallen, und bestimmt bedauerten einige Leute, dass überhaupt noch Geld in soziale Bereiche gesteckt wurde. Aber für eine so radikale Tat brauchte es mehr als böses Gerede und Dummheit. »Gab es sonst noch was, das dich an dem Fall gestört hat?«
»Jede Menge.« Sein pikierter Gesichtsausdruck normalisierte sich wieder. Anstatt Dóra wie bisher in die Augen zu schauen, starrte er auf den Kram neben seinem Schreibtisch. »Was mich am meisten geärgert hat, ist, dass im Vergleich zu anderen Einrichtungen unglaublich viel Geld in den Bau dieses Heims gesteckt wurde. Ich habe mal recherchiert, ob es üblich ist, dass man technische Ausrüstung und Personal in so was reinpumpt, als wären wir eine Ölnation, aber so ist es nicht. Da wurde alles so perfekt gemacht, weil ein zukünftiger Bewohner Beziehungen hatte, der wurde auf der Warteliste vorgezogen und Gott weiß was. Korruption ist, wie du weißt, überall.« Aris erschrockenes Gesicht ließ darauf schließen, dass ihm etwas rausgerutscht war, das er gar nicht hatte sagen wollen.
»Wen meinst du denn? Welchen Bewohner?«, fragte Dóra.
Ari hob abwehrend die Hand. »Sorry, das weiß ich nicht mehr. Wenn du willst, kann ich es nachschlagen und dir eine E-Mail schicken.« Da er nicht nach ihrer E-Mail-Adresse fragte, würde diese Mail wohl niemals ankommen. Dóra musste es auf anderem Weg herausfinden.
»Und du meinst, da hat Korruption mit reingespielt?«
»Nein.« Ari schüttelte den Kopf. »Ich habe dir ja schon gesagt, dass Jakob der Täter ist. Er hat den Brand gelegt, keine Frage. Vielleicht war ihm nicht klar, was das für Folgen haben würde, aber er hat es trotzdem gemacht. Geht es ihm denn im Sogn nicht gut? Kann ja nicht so viel anders sein, als im Heim zu wohnen.«
Das Bild von Jakobs Gesicht am Fenster spukte durch Dóras Kopf. »Ich glaube, es geht ihm schlecht, sehr schlecht.«
»Ach«, sagte Ari völlig emotionslos. »Aber die Insassen da sind ihm wenigstens ähnlicher. Dieses Heim war ein Sammelsurium von allen möglichen Leuten. Die hatten überhaupt nichts
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