Feuernacht
als hätte man es mit einem hässlichen, übergroßen Kleinkind zu tun. Und dann haben sie mich auch noch zu seinem Betreuer ernannt.«
Dóra versuchte sich nicht um seine Worte zu scheren und hoffte, dass sie nur ein Zeichen von Unsicherheit waren. Der Mann bekam bestimmt nicht oft Besuch in seiner Bruchbude. »Jakob ist natürlich in seiner Entwicklung zurückgeblieben. Ich kann gut verstehen, dass die Zusammenarbeit ungewöhnlich und schwierig war, aber ich dachte eher an etwas, das mit den Ermittlungen oder dem Fall selbst zu tun hat. Ich bin nicht in der Lage, ihn als Menschen zu beurteilen.«
»Sei doch nicht so empfindlich!« Das unerträgliche Lachen setzte wieder ein, hörte aber zum Glück schnell wieder auf. »Weißt du, ich bin total froh, dass ich nicht mit dieser Wiederaufnahme beauftragt wurde. Ich sollte vielleicht eher beleidigt und sauer sein, aber das bin ich nicht, im Gegenteil. Das war einer der nervigsten Fälle, die ich je angenommen habe, und ich hab schon so einiges erlebt. Der Fall war völlig eindeutig. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, geht es diesen Leuten doch tot besser als lebendig, und Jakob ist für den Rest seines Lebens in einer geschlossenen Anstalt am besten aufgehoben. Wenn du wirklich glaubst, dass er unschuldig ist, na, dann sage ich nur: viel Glück!«
Dóra wusste nicht, wie sie auf diese beispiellose Äußerung reagieren sollte. Am besten ignorierte sie Aris persönliche Kommentare einfach, sonst würde das Gespräch noch in einem Streit enden. Dóra hatte starke Zweifel, dass er Jakobs Belange mit der notwendigen Seriosität vertreten hatte. »Du bist also auf nichts gestoßen, das auf einen anderen Täter hinweisen könnte? Mir ist schon klar, dass Jakobs Aussagen irreführend sind, aber wie du selbst sagst, verhält er sich wie ein Kind, und Kinder sind nie vertrauenswürdige Zeugen. Wenn keine volle Rücksicht auf seine Behinderung genommen wurde, hat man vielleicht auch etwas übersehen, das in eine andere Richtung führt.« Während sie sprach, ging ihr durch den Kopf, dass Jakob keinen ungeeigneteren Verteidiger hätte haben können. Ari war bestimmt großartig, wenn es darum ging, sich im Auftrag irgendeines Kleinkriminellen mit dem Richter anzulegen, aber dieser Fall war überhaupt nicht sein Ding.
»Nein, glaube ich nicht«, sagte er wenig überzeugend.
»Nichts in Bezug auf die Leitung des Heims? Oder irgendwer, der Grund gehabt hätte, es in Brand zu stecken?«
»Nein, nichts.«
»Und was ist mit der jungen Behinderten, die schwanger war? Lísa Finnbjörnsdóttir? Sie war gelähmt, ist es da nicht naheliegend, dass der Vater des Kindes seine Tat vertuschen wollte?«
»Was?« Ari wirkte ehrlich überrascht. Sein Unterkiefer klappte herunter, und sein halboffener Mund bildete ein schwarzes Loch in seinem weißen Gesicht. »Woher hast du das denn?«
»Das steht klar und deutlich in Lísas Obduktionsbericht. Sie war im vierten Monat, als sie starb. Der Vater ist nicht bekannt, aber die Zeugung muss im Heim stattgefunden haben. Sie war verständlicherweise nicht viel unterwegs.«
Das schwarze Loch wurde noch größer. »Das ist völlig an mir vorbeigegangen, und an anderen auch. Das wurde bei dem Prozess, bei den Verhören und so weiter, nie erwähnt.«
»Es ist wohl ein bisschen übertrieben zu behaupten, es wäre an allen vorbeigegangen. Allerdings wurde aus Rücksicht auf die Angehörigen nicht darüber gesprochen. Du hättest es mit Leichtigkeit aufgreifen können, aber da du es ja übersehen hast, konnten immerhin alle ruhig schlafen.«
Ari hatte sich schnell wieder im Griff. Er klappte seinen Mund zu und winkte mit einer dramatischen Geste ab. Die Ärmel seines Hemdes waren verschlissen, und der gestreifte Stoff glänzte an den Armbeugen. An Kleinkriminellen war offenbar nicht viel zu verdienen.
»Äh, also, ich glaube nicht, dass das was geändert hätte. Wer würde denn einen Haufen Leute umbringen, um so was zu vertuschen? Das ist natürlich alles sehr unangenehm und so, aber ich meine …« Er ließ die Arme sinken. »Dann hätte er doch nur das Mädchen umbringen können. Ihr eine oder zwei Tabletten in den Mund schieben können, und die Sache wäre erledigt.«
Dóra hätte ihm am liebsten auch eine oder zwei Tabletten in den Mund gestopft, wenn er so weitermachte. »Es ist natürlich schwer vorstellbar, warum jemand die Tat begangen hat, aber ich weise ja auch nur darauf hin, dass da was gelaufen ist, was nicht ans Licht kommen sollte, und
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