Feuernacht
nach Hause ziehen könntest. Wie deine Mutter schon gesagt hat, möchte ich prüfen, ob das möglich ist, aber dabei musst du mir helfen.« Sein Gesicht war immer noch misstrauisch und jetzt auch ein bisschen wütend. »Ich muss dir ein paar Fragen stellen, und du musst mir ganz ehrlich antworten. Aber es ist nicht so wie damals, als du befragt worden bist. Du kannst mir alles erzählen, ich werde nicht böse. Ich will, dass wir Freunde sind, und Freunden kann man vertrauen.«
»Wie heißt du?« Es war kein gutes Zeichen, dass er sich noch nicht mal einen Moment lang ihren Namen merken konnte. Wie sollte er sich da an Dinge erinnern, die über ein Jahr zurücklagen? Hoffentlich hatte er einfach nicht richtig zugehört.
»Ich heiße Dóra und will dir helfen. Ich glaube nämlich nicht, dass du den Brand gelegt hast. Erinnerst du dich noch an das Feuer?« Er schüttelte seinen großen Kopf, doch sein ängstliches Gesicht zeugte vom Gegenteil. »Doch, Jakob, du erinnerst dich daran, oder?«
»Feuer ist heiß und brennt und macht alles kaputt. Das weiß ich gut.«
»Genau.« Dóra lächelte. Sie musste aufpassen, ihn mit ihren Fragen nicht zu beeinflussen. »Hast du vielleicht gesehen, wie das Feuer das Heim kaputtgemacht und den Leuten weh getan hat?«
»Das Heim hat den Leuten auch weh getan.« Jakob schaute zu seiner Mutter. »Viele haben geweint. Aber ich nicht.«
»Haben sie geweint, als das Feuer das Haus kaputtgemacht hat?«
»Auch. Aber ich hab nicht geweint.« Er warf seiner Mutter einen stolzen Blick zu. »Ich war tapfer, wie du mir gesagt hast.«
»Du hast das Feuer also gesehen?« Dóra versuchte, nicht zu sehr zu insistieren, aber sie musste das ganz genau wissen.
»Das Feuer war böse.« Er drehte sich zu seiner Mutter. »Ich will nicht über das Feuer reden, und ich will nicht mit der Frau reden. Sie ist nicht besser als der böse Mann.«
»Weißt du, dass ich dir Rosinenkrapfen mitgebracht habe?« Grímheiður nahm die große Hand ihres Sohnes. »Wenn du mit Dóra redest, kannst du nachher vielleicht einen bekommen. Ich habe sie in dem großen Topf gemacht, erinnerst du dich an den?« Er nickte und drehte sich langsam wieder zu Dóra.
Wahrscheinlich war es besser, auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen. »Erinnerst du dich an Lísa, Jakob?« Er nickte. »War sie deine Freundin?«
»Nein, sie konnte nicht sprechen, aber sie war trotzdem lieb.«
»Wie lieb?« Dóra hoffte, dass er nicht antworten würde, weil sie so weich war.
»Sie hat nie geweint. Sie war immer nur müde und hat geschlafen.«
»Hat manchmal jemand bei ihr im Bett gelegen?«
Jakob schaute Dóra verwundert an. »Nein, nie, das war nur ihr Bett.«
»Hast du dich mal zu ihr ins Bett gelegt?« Sie musste diese Frage einfach stellen, auch wenn Grímheiðurs erstaunter Blick zu erkennen gab, dass sie das für unangebracht hielt. »Oder hast du gesehen, wie jemand anders das gemacht hat?«
»Nein.« Jakob schrie fast. »Da war ja nicht genug Platz, und ich hatte selbst ein Bett. Alle hatten ein eigenes Bett.« Er verstummte und fügte dann hinzu: »Meins ist verbrannt, aber das war nicht schlimm. Ich wollte es sowieso nicht haben. Ich hab zu Hause bei Mama ein Bett. Da ist niemand böse.«
»Wer war denn im Heim böse?«
»Viele. Eine Frau war sehr böse, und ich hab sie geschlagen.« Er verzog das Gesicht. »Das hat sie auch verdient, sie war böse.«
»Man soll nie jemandem weh tun, Jakob, das weißt du doch.« Seine Mutter strich über seinen runden Handrücken. »Weißt du noch, wie wütend alle auf dich waren?«
»Niemand war wütend, wenn sie uns weh getan hat.«
»Sprichst du über Glódís? Wem hat sie denn weh getan?« Dóra hoffte, dass Jakob nicht noch mehr Personen angegriffen hatte. Mit Aris Bisswunde am Oberarm waren das bereits zwei tätliche Angriffe, und das waren zwei zu viel. Sie hatte die Aussage der Heimleiterin zu diesem Vorfall beim zweiten Durchsehen der Unterlagen gelesen und hoffte, dass es sich um eine Übertreibung oder ein Missverständnis handelte. Aber so sah es offenbar nicht aus.
»Sie hat vielen weh getan … aber ich will nicht darüber reden.«
»Hat sie dir weh getan? Hast du sie deshalb geschlagen?«
»Nein, sie hat mir das Bild weggenommen, das Tryggvi mir geschenkt hat. Es war meins, und sie hat es mir aus der Hand gerissen und gesagt, ich darf es nicht behalten. Ich war wütend und hab sie mit dem Besen geschlagen. Das hat sie verdient. Man darf anderen nichts wegnehmen, das
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