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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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sie davon überzeugt, dass es sich um ein Missverständnis handelte, das schnell aus dem Weg geräumt wäre. Als sich dies als Trugschluss herausstellte, traute sie sich nicht, den Anwalt zu wechseln, und dachte sogar, dafür sei es zu spät, weil der Fall so schnell abgehandelt werden sollte. Dóra lauschte schweigend, obwohl sie das alles höchst merkwürdig fand. Der Brand war am Samstagabend gelegt worden, und die Festnahme hatte am nächsten Morgen stattgefunden. Normalerweise riefen Anwälte nicht bei fremden Leuten an, um ihre Dienste anzubieten, und ganz bestimmt nicht sonntags morgens. Wie hatte Ari von der Sache Wind bekommen? Dóra war nicht bekannt, dass die Polizei sich mit Anwälten in Kontakt setzte, um ihnen potentielle Mandanten zu vermitteln. Natürlich war es denkbar, dass man wegen der ganzen Aufregung über Jakobs Behinderung und seine rechtliche Stellung zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen hatte, aber das war eher unwahrscheinlich. Gerade in so einem Fall agierten die Behörden normalerweise streng nach Vorschrift.
    Der Wind hatte sich gelegt, und es schneite kaum noch, als sie endlich in der Anstalt für psychisch kranke Straftäter ankamen. Die Sonne erschien am Horizont und warf ihre grellen Strahlen auf den Harsch. Sie mussten ihre Augen abschirmen, während sie ziemlich lange auf dem Treppenabsatz warteten, bis jemand auf ihr Klingeln reagierte. Dann gab es einige Aufregung wegen Matthias, dessen Kommen nicht angekündigt war. Nach einer kurzen Diskussion durfte er als Dóras Assistent mit rein. Eine weitere Verzögerung entstand, weil Jakobs Mutter zwei Plastiktüten mit Essen für ihren Sohn mitgebracht hatte. Die alte Dame musste alles aufzählen, was sie dabeihatte, was Dóra daran erinnerte, was für eine schlechte Köchin und Bäckerin sie selbst abgab. Aus den Tüten kamen eine Dose mit Schmalzgebäck zum Vorschein, ein haushoher Fladenbrot-Turm, geräucherter Schinken, Rhabarberkuchen und weiteres Gebäck und Brot, alles selbstgebacken. Die Frau musste die ganze Nacht damit verbracht haben, das alles zuzubereiten. Das Essen wurde wieder in die Tüten verpackt und in einem Nebenraum deponiert, und dann durften sie endlich zu Jakob in das gemütliche, aber heruntergekommene Wohnzimmer, wo Dóra sich schon mit Jósteinn getroffen hatte. Eigentlich hätte sie den Besuch nutzen sollen, um ein paar Worte mit ihm über die Auftragskosten zu wechseln, aber sie konnte nicht verhehlen, dass es ihr lieber war, wenn er verhindert wäre.
    Sie nahmen auf dem Sofa mit den Kissen Platz und versuchten, es sich möglichst bequem zu machen, wobei das Sofa ziemlich durchgesessen war. Als Jakob endlich in Begleitung eines Mitarbeiters erschien, hatte seine Mutter mindestens viermal die bestickten Kissen auf dem Stuhl, den sie für ihn vorgesehen hatte, zurechtgerückt. Sie umarmten sich lange, dann ließ sich Jakob in den Stuhl plumpsen. Er zog sämtliche Kissen unter seinem Gesäß hervor und warf sie auf den Boden. Dóra und Matthias hielten sich zurück, während seine Mutter ihn fragte, wie es ihm gehe, ob er genug zu essen bekäme und sich morgens und abends zwei Minuten lang die Zähne putzte. Sämtliche Fragen beantwortete er mit dem gleichen Satz: Ich will nach Hause. Schließlich stellte Grímheiður ihm Dóra und Matthias vor, die er bis dahin nicht im Geringsten beachtet hatte.
    »Jakob, das ist Dóra. Sie ist Anwältin, so wie Ari, nur viel besser. Sie ist sehr nett, und vielleicht – nur vielleicht – kann sie uns helfen, dass du zurück nach Hause darfst.«
    Jakob blickte vom einen zum anderen und runzelte die Stirn. Er wirkte unausgeschlafen, sein Haar war zerzaust, und er hatte weiße Speichel- oder Zahnpastareste in den Mundwinkeln. Seine Hose war zu kurz und sein abgetragener Pullover zu groß. Warum war es nicht möglich, dass die Leute in einer solchen Einrichtung ordentlich aussahen? Die Betreuer liefen ja auch nicht in gebrauchten Klamotten und falschen Größen herum. »Ich will, dass sie gehen. Ich will mit dir reden, Mama, nur mit dir. Warum kannst du nicht hier einziehen, wenn ich nicht nach Hause darf?« Er reihte die Sätze hastig aneinander, so als stehe er unter großem Zeitdruck. Vielleicht hoffte er, dass seine Bitte erhört wurde, wenn er so schnell sprach, dass man kaum etwas verstehen konnte.
    »Guten Tag, Jakob«, unterbrach Dóra ihn und reichte ihm die Hand. Da er nicht einschlug, zog sie sie wieder zurück. »Es wäre natürlich viel besser, wenn du wieder

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