Feuernacht
zusammenlebte. Damit war die Wohnung des Kameramanns allerdings nicht vergleichbar – bei Dóra zu Hause lagen Klamotten, Jacken, Schulbücher, Spielzeug, Bauklötze und andere lose Dinge herum, während bei Sveinn eine andere Art von Unordnung herrschte. Auf dem niedrigen Couchtisch stand ein schmutziger Teller, das Besteck ordentlich daraufgelegt, so als würde jeden Moment ein Kellner erwartet, um den Tisch abzuräumen und zu fragen, ob er den Kaffee servieren dürfe. Darunter stapelten sich große Imbissverpackungen. Ein Badetuch lag zusammengeknüllt auf dem Sofarücken, und der Hausherr schien die Gewohnheit zu haben, am Ende des Tages seine Socken vor dem Fernseher auszuziehen. Vor dem Sofa lagen jede Menge einzelne Socken, als hätte er sie mit den Füßen abgestreift, um die Hände für etwas anderes frei zu haben, beispielsweise für ein frittiertes Hähnchen.
Dóra vermied es, sich die Regalwand mit dem Fernseher näher anzuschauen, aber die Coladosen, die dort wie zur Zierde aufgereiht standen, waren nicht zu übersehen. »Nehmt euch einfach Stühle, die Rohfassung schaut man sich am besten auf dem PC an. Die Auflösung ist okay, man sollte also genug erkennen können.« Sveinn setzte sich auf den Schreibtischstuhl und bereitete alles vor. »Zu schade, dass ich das Material wahrscheinlich nie verwenden kann.«
»Ist der Film den Finanzkürzungen zum Opfer gefallen?« Dóra nahm am Tisch Platz, während sich Matthias immer noch suchend nach einem sauberen Stuhl umschaute.
»Ja, man fühlt sich wirklich verarscht, auch wenn man weiß, dass nicht genug Geld da ist und wichtigere Dinge Vorrang haben.« Das erste Fenster erschien auf dem Monitor, und Sveinn änderte etwas an den Einstellungen, um das Bild schärfer zu stellen. »Das Projekt wurde 2003 beschlossen, und ein Jahr später habe ich angefangen und mehrere Jahre Material gesammelt, mit Unterbrechungen natürlich, aber trotzdem.«
»Was war das Ziel des Films?«
» 2003 war das Jahr der Behinderten, da wurde das Projekt vom Sozialministerium angestoßen. Es sollte eine Dokumentation über die heutige Situation von Behinderten sein. Als ich anfing, hatte ich überhaupt keine Ahnung von dem Thema, aber jetzt bin ich ein richtiger Experte. In hundert Jahren wird man ganz anders mit Behinderten umgehen als heute. Da liegt wirklich einiges im Argen, aber ich habe natürlich auch keine Wunderlösungen parat.« Als er endlich mit den Einstellungen zufrieden war, schaltete er den Player ein. »Als das Heim abgebrannt ist, haben mich zwei Fernsehsender kontaktiert und mir für ein paar Aufnahmen das Blaue vom Himmel herunter versprochen.«
»Und hast du ihnen welche gegeben?«
»Nein, ich durfte nicht. Das gehört alles dem Ministerium, und die haben die Veröffentlichung verhindert. Die Polizei hat eine Kopie bekommen, ohne Bezahlung natürlich. Die hätte ich verdammt gut brauchen können. Das ist keine sehr lukrative Branche, kann ich dir sagen.«
Dóra murmelte etwas Zustimmendes. »Du hast gesagt, dass da einiges im Argen liegt. War das in dem Heim, das abgebrannt ist, auch so?«
Sveinn drehte sich zu ihr. »Tja, ich weiß nicht so genau. Ich war in sehr vielen Heimen, der Film sollte ja einen Überblick über die Situation geben. Dieses Heim hat sich nicht so stark von den anderen abgehoben, obwohl der Zustand der Bewohner sehr bewegend war. Es gibt so viele unterschiedliche Behinderungen, und die Bewohner in diesem Heim hatte es mit am schlimmsten getroffen. So gesehen. Die meisten anderen, die ich kennengelernt habe, haben so gelebt wie du und ich und sich perfekt in unserer Gesellschaft zurechtgefunden, mit gewissen Hilfsmitteln natürlich.« Er bewegte die Maus und wollte den Film einschalten, aber die Maus schien vollkommen verklebt zu sein, denn er brauchte ziemlich lange, um seine Finger von ihr zu lösen. »Es gibt zwei Gruppen, die meiner Meinung nach nicht viel gemeinsam haben, geistige Behinderung ist was ganz anderes als körperliche Behinderung. Ich glaube, die Abgrenzungen werden mit der Zeit viel klarer werden.«
Dóra dachte schon, der Film würde gar nicht mehr anfangen, wollte den Mann aber auch nicht drängen. »Du hast also im Vergleich zu anderen Heimen nichts Ungewöhnliches festgestellt?«
»Tja, es war natürlich alles neu, sollte so eine Art Flaggschiff sein. Bei der Einrichtung des Hauses wurde an nichts gespart, aber soweit ich weiß, ist ihnen irgendwann das Geld ausgegangen, und der Ausbau wurde abrupt gestoppt.
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