Feuernacht
vertuschen. Derselbe Mann hätte auch Lísa vergewaltigen und darüber in Streit mit Friðleifur geraten sein können. Dóra konnte sich zwar nicht vorstellen, dass die Nachtwachen ihren Gästen erlaubt hatten, nachts durchs Heim zu spazieren, aber es war nicht undenkbar. Sie wusste nicht viel über Friðleifur Guðjónsson, nur das, was die Zeugen ausgesagt hatten, und die positive Einschätzung des Kameramanns.
Dóra musste unbedingt mit Friðleifurs Kollegen reden und fand seinen Namen schnell auf der Liste, aber er ging nicht ans Handy, und die Mailbox schaltete sich nicht ein. Solange sie von ihm keine Infos zu ihrer Theorie, dass der Brand mit dem verstorbenen Wachmann zu tun hatte, bekommen konnte, gab es nur einen Weg herauszufinden, ob sie vollkommen auf dem Holzweg war: mit Friðleifurs Angehörigen zu reden. Dóra suchte die Namen der Eltern des Mannes aus den Unterlagen heraus. Dort ging auch niemand ans Telefon, und das Handy der Mutter war ausgeschaltet oder hatte keinen Empfang. Friðleifurs Vater ging jedoch nach dem zweiten Klingeln ans Handy, offenbar saß er am Steuer seines Autos.
Dóra stellte sich vor und bot an, später noch mal anzurufen.
»Später? Warum?« Die raue Stimme klang verwundert.
»Es hört sich so an, als würdest du Auto fahren.«
»Das macht nichts, ich parke gerade.« Kurz darauf wurde der Motor ausgeschaltet. »Anwältin, sagst du? Bist du von der Bank?« Dóra erklärte vorsichtig, wer sie war und für wen sie arbeitete. Langes Schweigen. Einen Moment lang dachte sie, der Mann würde auflegen, aber dann begann er plötzlich zu reden, jetzt viel unfreundlicher als am Anfang des Gesprächs. »Und was zum Teufel willst du von mir?«
»Ich versuche, etwas über den Brand herauszufinden, und dazu gehört auch, mit den Mitarbeitern und den Angehörigen der Opfer zu reden.«
»Als ob wir was darüber wüssten! Glaubst du etwa, wir verfügen über irgendwelche geheimen Informationen? Meinst du wirklich, dass wir das nicht der Polizei erzählt hätten?«
»Viele Punkte, die damals mit den Ermittlungsbehörden besprochen wurden, stehen nicht im Protokoll. Das ist ja immer so. Aber damit du weißt, worum es mir geht: Ich möchte die Möglichkeit ausschließen, dass der Brand auf deinen Sohn abzielen sollte.«
»Niemand hätte Friðleifur was antun wollen. Er war ein ganz normaler junger Mann, der nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist oder in irgendwelche Schlägereien verwickelt war.« Die Stimme des Mannes erstarb, dann fügte er traurig hinzu: »Noch nicht mal als kleiner Junge.«
Danach lief das Gespräch besser. Die Wut des Mannes verflog langsam, und er schien zu merken, dass Dóra keine bösen Absichten hatte. Sie bemühte sich, ihre Fragen so zu formulieren, dass sie Friðleifur auf keinen Fall in ein schlechtes Licht rückten. »Er ist also nie in schlechte Gesellschaft geraten, wie das ja manchmal so ist? Könnte er nicht jemanden kennengelernt haben, der ihn auf der Arbeit angegriffen hat, und dann sind die Dinge aus dem Ruder gelaufen?«
»Nein, glaube ich nicht. Seine Freunde waren alle so wie er, Jungs, die damit beschäftigt waren, ihren Weg im Leben zu finden. Natürlich wäre es uns lieber gewesen, wenn er studiert hätte, aber ich weiß nicht, ob das mit seinen Freunden zusammenhing, sie waren alle auf derselben Schule, und keiner hat anschließend ein Studium aufgenommen. Ich glaube allerdings, dass Friðleifur vorhatte, an die Uni zu gehen. Er hat es mir nicht gesagt, aber als ich mich endlich aufgerafft habe, sein Zimmer durchzusehen, habe ich Broschüren über ein Abendstudium und ein paar Lehrbücher über Pharmazie gefunden, die er sich gekauft haben muss. Er hatte bei seinen Nachtschichten Gott weiß genug Zeit zum Lesen.«
»Er hat also noch zu Hause gewohnt?«
»Ja, die Arbeit im Heim war nicht besonders gut bezahlt und seine vorherigen Jobs auch nicht. Friðleifur konnte es sich nicht leisten, einen teuren Wohnungskredit aufzunehmen, und wir konnten ihm auch nicht unter die Arme greifen. Man kann ja froh sein, wenn man heutzutage keine unverkäufliche Wohnung am Hals hat, die mehr Kosten als Einnahmen verursacht. In der letzten Zeit ist er aber ziemlich gut klargekommen und hatte sich finanziell wieder berappelt.«
Dóras Handy piepte. Sie reckte sich danach und checkte die SMS , während sie sprach. Sie kam von ihrer Tochter Sóley, die fragte, wann sie nach Hause käme. »Ich nehme mal an, dass du und deine Frau nie in der Einrichtung
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