Feuernacht
Er hätte genauso gut einen gelben Zettel drankleben oder mich einfach direkt darauf hinweisen können.«
»Ob es jemand von der Justiz, der Polizei oder der Staatsanwaltschaft war?«
»Möglich, aber warum? Eine ziemlich sonderbare Art, mir etwas mitzuteilen. Die Polizei oder der Staatsanwalt könnten sich einfach mit mir treffen, wenn sie sich für meine Recherchen interessieren.«
»Was ist mit den Angehörigen der Opfer? Haben sie die Unterlagen bekommen?«
Dóra schüttelte langsam den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. Meistens versucht man, die Familie mit solchen Dingen zu verschonen. Um solche Fotos zu bekommen, braucht man einen triftigen Grund und gute Argumente.«
»Und die Betreiber des Heims? Glaubst du, dass sie die Ermittlungen mitverfolgen durften?«
»Bestimmt, aber nicht im Detail. Die Sache ist einfach völlig unverständlich. Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist, dass jemand bei den Behörden, der über meine Pläne informiert ist, gerade durchdreht.«
»Oder schon durchgedreht ist.« Matthias schaute Dóra in die Augen. »Wenn Jakob wirklich unschuldig ist, läuft der Täter wahrscheinlich noch frei herum. Vielleicht hat deine Mutter recht. Das Foto ist wirklich beunruhigend, aber der Text passt überhaupt nicht dazu.
schnüffel nicht rum
oder so was hätte besser gepasst.«
»Aber dann müsste der wirkliche Mörder Polizist, Anwalt oder Richter sein. Oder Jakobs Mutter. Alles sehr unwahrscheinlich.« Dóra nahm das Handy. »Apropos Text, was soll das eigentlich bedeuten,
02 kurzer schlauch
?«
»Eine Zimmernummer? Waren die Appartements im Heim nicht so nummeriert? 01 , 02 und so weiter?«
»Stimmt.« Dóra atmete tief durch. »Wenn ich mich recht erinnere, war das die Nummer von Natans Wohnung, aber da gab es meines Wissens keinen Schlauch, weder einen langen noch einen kurzen. Vielleicht weiß das Mädchen, das noch am Leben ist, was das bedeuten könnte.«
»Willst du sie nicht ausfindig machen und dich mit ihr treffen? Vielleicht ist diese SMS gar keine Drohung, sondern ein Hinweis. Sie ist die einzige Überlebende, die weiß, wie es war, im Heim zu wohnen. Vielleicht hat sie sogar was mit der Sache zu tun.«
»Sie ist gelähmt und kann nicht sprechen. Wie kann sie da irgendwas mit dem Brand zu tun haben?« Dóra klappte den Laptop zu. »Aber ich muss sie unbedingt treffen. Sobald ich rausgefunden habe, wer sie ist und wo sie wohnt.«
»Das sollte ja wohl nicht so schwer sein.« Matthias lächelte. »Schwieriger dürfte es allerdings sein, ihr die Fragen zu stellen.«
19 . KAPITEL
DONNERSTAG ,
14 . JANUAR 2010
In der Anstalt für psychisch kranke Straftäter hatte sich seit Dóras letztem Besuch nicht viel verändert, die einsame Schubkarre stand am selben Platz in der Auffahrt, und dieselben Holzkisten stapelten sich an der Hauswand. Alles wirkte so, als sei der Ort in einen tiefen Schlaf gesunken, als sich die Tür vor ein paar Tagen hinter Dóra geschlossen hatte, und wenige Minuten, bevor sie klingelte, wieder zum Leben erwacht. Alle trugen dieselbe Kleidung, und sogar die Schuhe schienen noch an derselben Stelle im Flur zu stehen. »Ganz schön kalt heute«, sagte Dóra und reichte der Frau, die ihr die Tür geöffnet hatte, ihren Anorak. Etwas Schlaueres fiel ihr nicht ein, sie konnte die Frau ja schlecht fragen, ob sie seit ihrem letzten Besuch im Flur auf sie gewartet hätte.
»Hm.« Die Frau legte den Anorak über ihren Arm und bat Dóra herein. »Willst du zu Jósteinn? Er hat einen Termin mit einer Anwältin.«
»Ja, genau.« Dóra spähte auf ihre Schuhe, die von dem Schneematsch auf dem Parkplatz ganz nass waren, und suchte nach einer vernünftigen Fußmatte. »Einer ihrer Kollegen hat mich heute Morgen angerufen und gesagt, dass er mich sprechen will. Mehr weiß ich auch nicht.« Dóra hätte dieses Treffen am liebsten unter dem Vorwand, furchtbar viel zu tun zu haben, abgelehnt, brachte es aber nicht über sich. Schließlich bezahlte der Mann die Rechnungen für Jakobs Fall, also musste sie ihm wenigstens ein Mindestmaß an Höflichkeit entgegenbringen.
»Geh doch schon mal ins Wohnzimmer, dann hole ich ihn, du kennst dich ja schon aus.« Dóra nickte, ohne weitere Versuche zu unternehmen, ihre Schuhe zu säubern. Stattdessen zog sie sie einfach aus, während die Frau weitersprach. »Er wird sich ja wohl hoffentlich von der Werkstatt losreißen können.«
»Ist er oft dort?« Dóra hatte nichts dagegen, ein bisschen mit der Frau zu plaudern und
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