Feuernacht
das Treffen mit Jósteinn hinauszuzögern. Sie hatte zwar nicht direkt Angst vor dem Mann, aber sie freute sich auch nicht auf ihn.
»Ja, er scheint sich zwischen diesen defekten Computern wohl zu fühlen und repariert sie sogar mit großem Erfolg. Wir können schon nicht mehr zählen, wie viele Computer er aus einem Haufen Schrott zusammengebastelt hat. Die werden alle in die dritte Welt geschickt.«
»Es macht ihm also Spaß, etwas Gutes zu tun?« Vielleicht sollte Dóra ihre Meinung über Jósteinn revidieren. Er war Jakob wohlgestimmt und nun das. Vielleicht hatte dieser kranke, gebrochene Mann eine gute Seele.
Die Frau lächelte mitleidig. »Nein, das kann man nicht unbedingt sagen. Die dritte Welt ist ihm vollkommen egal. Er ist nur von Computern fasziniert, er sagt, sie wären vollkommen und könnten keine Fehler machen. Es macht ihm Spaß, sie wieder zum Leben zu erwecken. Jósteinn hat mir mal gesagt, der Vorteil an Computern wäre, dass sie keine Augen und kein Urteilsvermögen hätten und deshalb seine hässliche Erscheinung und sein noch hässlicheres Inneres nicht wahrnehmen könnten. Er ist ein sehr kranker Mann, aber die Welt der Computer scheint ihm die Sicherheit zu geben, die er braucht, wie wir alle.«
Dóra wusste nicht, was sie noch sagen sollte, und nickte nur. Sie ging zum Wohnzimmer, und als sie die Tür öffnete, hatte sie dasselbe Gefühl wie schon beim Betreten des Hauses; die bestickten Kissen schienen nicht angerührt worden zu sein.
Dóras Blick fiel auf das Fenster, und sie betrachtete das leere, einsame Gewächshaus im Garten. Das Glasdach schimmerte, und drinnen warteten leere Töpfe und eine verbeulte Gießkanne, die bestimmt undicht war, auf den Frühling. Jakob war nirgends zu sehen.
Als Jósteinn in Begleitung der Frau kam, spürte Dóra, wie sich ihre Hände verkrampften. Am liebsten wäre sie zum äußersten Rand des Sofas gerutscht. Dieser kleine, schlanke Mann hatte etwas Unheimliches an sich, nicht nur, weil sie wusste, was er anderen Menschen angetan hatte. Sein dünnes Haar war fettig, und die Kopfhaut schimmerte durch die klebrigen, zurückgekämmten Haarsträhnen, sogar seine Brille war schmutzig, so dass er durch die verschmierten Gläser kaum etwas sehen konnte. Jósteinn machte einen missglückten Versuch zu lächeln, und Dóra nickte ihm zu. Sie brachte es nicht über sich, ihm die Hand zu reichen, was ihn aber nicht zu stören schien.
»Darf ich euch jetzt alleine lassen? Ich bin in der Nähe, wenn ihr etwas braucht.« Bei diesen Worten schaute sie Dóra fest in die Augen, und alle verstanden die versteckte Botschaft.
»Ja, gut.« Dóra versuchte, ihre Unsicherheit zu überspielen. »Wir brauchen bestimmt nicht lange, oder was meinst du, Jósteinn?«
»Nein.« Jósteinn setzte sich auf den Stuhl Dóra gegenüber. Schweigend starrte er in seinen Schoß, bis die Frau gegangen war. »Wie läuft’s?«
»Meinst du Jakobs Fall?« Dóra ertappte sich dabei, selbst zu starren, nicht in ihren Schoß, sondern auf die geschlossene Tür.
»Ja, hast du ihn gelöst?« Jósteinn sprach sehr leise, so als wolle er nicht, dass man ihn hörte.
»Nein, das nicht, aber er lichtet sich langsam.« Dóra setzte sich auf dem niedrigen, zu weichen Sofa zurecht. »Warum wolltest du mich treffen? Um dich nach dem Fall zu erkundigen?«
»Ja, eigentlich schon.«
»Findest du es nicht ein bisschen viel verlangt, dass ich den ganzen Weg hierherkomme, um dir ein paar Auskünfte zu geben? Hättest du mich nicht anrufen können?«
Jósteinn lächelte, ohne aufzuschauen. Dabei verschwanden seine dünnen Lippen fast, seine Unterlippe platzte auf, und ein Blutstropfen bildete sich. Der Mann schien es nicht zu bemerken und keinen Schmerz zu spüren. Dóra konnte ihren Blick nicht von seinem Mund und seinen dunklen Zähnen abwenden, die trotz ihrer Farbe gerade waren. Sein Lächeln verschwand genauso plötzlich, wie es gekommen war, und eine kleine Blutspur rann an seinem Kinn herunter. »Ich kann nicht telefonieren. Du weißt doch, dass ich hier keinen Zugang zu einem Telefon habe.«
»Aber du darfst doch bestimmt in Anwesenheit eines Mitarbeiters telefonieren, wenn du ihn darum bittest, eine Nummer für dich zu wählen.«
Er zuckte die Achseln. »Habe ich noch nie versucht. Bisher brauchte ich nicht zu telefonieren.«
»Dann versuch es mal, wenn du das nächste Mal mit mir Kontakt aufnehmen willst. Es ist eine lange Fahrt aus der Stadt hierher, und meine Zeit wäre besser genutzt,
Weitere Kostenlose Bücher