Feuernacht
Rechtschreibprogramm zugelegt, nachdem sie Bellas erste Briefe gesehen hatten – zweifellos eine ihrer besten Investitionen.
Als endlich jemand zurückrief, konnte Dóra die Nummer unmöglich einem ihrer vielen vergeblichen Anrufe zuordnen.
»Guten Tag, ich heiße Linda. Ich habe gesehen, dass ich einen Anruf verpasst habe.«
Dóra zog die Liste zu sich und suchte den Namen, während sie erklärte, wer sie war und worum es ging. Ihr Sprüchlein war bei jedem dasselbe. Als sie ihren letzten Satz beendet hatte, fand sie den Namen der Frau mit einer danebengekritzelten Berufsbezeichnung, die sie im Telefonbuch entdeckt hatte. Dóra war froh zu sehen, dass Linda Entwicklungstherapeutin war. Ihrer Stimme nach zu urteilen war sie älter als Dóra und wirkte ruhig und gelassen.
»Ich weiß nicht, ob ich da viel helfen kann, aber wenn du vorbeikommen möchtest, können wir uns gerne kurz unterhalten.« Dann fügte sie hinzu: »Ich konnte Jakob gut leiden und habe nie geglaubt, dass er der Täter ist.«
Dóra nahm die Einladung dankbar an und notierte die Adresse, ein Wohnheim für behinderte Kinder in der Weststadt. Sie beeilte sich, damit sie Linda nicht verpasste, ließ sich aber dennoch die Zeit, auf Bellas Mitteilung am Empfang vor dem Wort
Artzt
das Wort
Nerven
zu ergänzen. Hoffentlich blieb der Zettel bis morgen liegen.
Dieses Heim war ganz anders als der moderne Neubau, den Jakob angeblich in Brand gesteckt hatte. Es stand schon seit der Entstehung des alteingesessenen Viertels an seinem Platz, und man erkannte es nicht sofort als öffentliches Gebäude. Lediglich die Haustür war ungewöhnlich breit, und vor dem Haus befand sich ein Behindertenparkplatz. Dóra ging zu der unauffälligen Tür und klopfte, verwundert, dass es keine Klingel gab. Sie erkannte Lindas Stimme vom Telefon sofort wieder und hatte ihr Alter richtig geschätzt, ungefähr Ende fünfzig. Sie war etwas füllig und lächelte freundlich. Ihr graudurchwirktes Haar war zu einem kurzen Zopf zusammengebunden, und trotz ihrer unscheinbaren Kleidung und Frisur wirkte sie offen und unvoreingenommen.
»Ich komme normalerweise nicht so schnell zur Tür gestürmt, aber ich habe dich ja erwartet. Du brauchst deine Schuhe nicht auszuziehen, die Putzfrau kommt nach dem Abendessen, der Boden sieht am Ende des Tages immer so schlimm aus.«
Sobald man über die Türschwelle getreten war, wirkte das Gebäude gar nicht mehr wie ein normales Wohnhaus. Der Flur war viel geräumiger als in solchen alten Häusern üblich, vermutlich hatte man ein paar Wände eingerissen. Die Türen waren breiter als normal, und an einigen Wänden befanden sich Haltestangen. Die Böden waren mit PVC ausgelegt und wirklich nicht sehr sauber. Schwarze Räderspuren von Rollstühlen und Abdrücke von schmutzigen Schuhen führten durch den Flur und verschwanden hinter verschlossenen Türen. »Mein Büro ist da hinten, da können wir uns reinsetzen. Hier ist meistens ziemlich viel los, aber im Augenblick ist es ruhig. Das Haus ist leider alles andere als ideal, aber man gewöhnt sich daran.«
Sie gingen an offenen Türen vorbei zu einem großen, hellen Saal, in dem sich drei Kinder aufhielten: In einem Rollstuhl saß ein Junge, der unnatürlich aufgeschwemmt aussah, ein Mädchen stand in einer Art Stahlgitter, und ein anderes Mädchen saß mit geradem Rücken am Tisch und starrte die Tischplatte an. Die beiden anderen schauten auf, als sie vorbeigingen, und strahlten Dóra an. Sie lächelte zurück und winkte, musste sich dann aber beeilen, um mit Linda Schritt halten zu können. »Ist dieses Heim vergleichbar mit dem, in dem Jakob gewohnt hat?«
»Nein, das hier ist ein Tagesheim für jüngere Kinder. Sie können nicht in normale Kindergärten oder Schulen gehen, brauchen aber trotzdem Unterricht und Anregungen, die ihre Eltern ihnen nicht geben können.« Linda öffnete die Tür zu einem kleinen, hübsch eingerichteten Büro. »Dieses Haus ist eines von vielen, das der Stadt für einen bestimmten Zweck überlassen wurde. In diesem Fall war die Bedingung, dass es für behinderte Kinder verwendet werden soll. Das Ehepaar, das hier gewohnt hat, hatte ein behindertes Mädchen und kannte die Bedürfnisse. Sie sind vor vielen Jahren gestorben. Die Zustände waren damals viel schlechter als heute.«
»Ist denn heute alles so, wie es sein sollte?«
»Es ist nicht alles gut, aber akzeptabel. Der Bedarf ist größer als das Angebot. Jedes Jahr werden ungefähr zehn schwerbehinderte
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