Feuernacht
Kinder geboren, die eine intensive Betreuung benötigen. Es ist unmöglich, ihnen alle Unterstützung zu gewähren, die sie brauchen, aber wir tun natürlich unser Bestes. Leider bleiben manche außen vor, aber das ist ein politisches Problem. Meiner Meinung nach bewegen wir uns gerade von einem Extrem ins andere und müssen uns noch an die beste Lösung herantasten. Früher wurden alle in die wenigen Einrichtungen gesteckt, die es gab, die meisten in das alte Heim in Kópavogur, eine Art Krankenhaus. Heute klingt das unglaublich, aber bis 1980 war der offizielle Name dieser Einrichtung ›Nationalheim für Idioten‹, das hat sich Gott sei Dank geändert. Heute sollen alle in Wohnheimen untergebracht werden, die aber meiner Meinung nach zu klein sind. Wenn nicht genug Geld da ist, bleiben viele auf der Strecke, und einige profitieren auf Kosten anderer.«
»Es muss doch bestimmt ein Schock gewesen sein, als das Heim abgebrannt ist. Abgesehen davon, dass dabei unschuldige Menschen gestorben sind.«
»Ja, allerdings. Das Land und die Bezirksverwaltungen versichern ihre Gebäude nicht, daher kommt niemand für den Schaden auf. Angesichts der momentanen Wirtschaftslage wird es in den kommenden Jahren keine Neubauten mehr geben, und die Zahl derjenigen, die auf einen Platz warten, wächst natürlich weiter.«
»Es muss frustrierend sein, unter solchen Bedingungen zu arbeiten.« Dóra ließ ihren Blick über die Fotos der Kinder an der Wand hinter Linda schweifen. Sie wirkten glücklich und lächelten, so wie die Kinder, die Dóra im Vorbeigehen gesehen hatte.
»Ja, man muss manchmal die Augen vor den Mängeln verschließen und sich auf das konzentrieren, worauf man Einfluss nehmen kann. Ich habe schon so viele Jahre auf dem Buckel, dass ich mir ein dickes Fell zugelegt habe. Es gibt ja nicht immer nur Frust und Elend, wie manche glauben. Den meisten Kindern hier geht es gut, sie sind glücklich, obwohl sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die andere Kinder noch nicht mal vom Hörensagen kennen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie glücklicher sind als sogenannte gesunde Gleichaltrige. Meiner Meinung nach kommt es auf die Einstellung an, außerdem hat die Digitalisierung den Unterschied zwischen körperbehinderten und gesunden Kindern stark vermindert. Ich kenne Kinder, die den ganzen Tag vor dem Computer hängen und die Freiheit, die ihre uneingeschränkte Bewegungsfähigkeit ihnen schenkt, kaum nutzen. Was geistig behinderte Kinder betrifft, ist das Hauptproblem, dass sich die Einstellung der Leute zu ihnen nur langsam verändert. Die Gesellschaft hat immer weniger Geduld mit Menschen, die keine Karriere machen und nichts leisten können. Obwohl die meisten dieser Leute arbeiten können, wenn die Tätigkeit ihren Fähigkeiten entspricht. Es gibt selten fleißigere und gewissenhaftere Arbeitskräfte.«
Dóra nickte und war davon überzeugt, dass so jemand Bellas Sekretärinnenjob wesentlich besser erledigen würde. Natürlich war es naiv von ihr zu glauben, dass sich das Leben dieser Kinder immer nur um Probleme drehte. »Ich versuche, wie gesagt, herauszufinden, wer außer Jakob an dem Brand beteiligt gewesen sein könnte. Dabei bin ich auf ein paar interessante Dinge gestoßen, habe aber noch keine triftigen Beweise. Sind deine Zweifel an Jakobs Schuld eher gefühlsmäßiger Art, oder kannst du sie begründen?«
»Das ist mehr so ein Gefühl. Jakob hatte es im Heim nicht leicht, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er zu so einer Tat fähig wäre. Er hat geglaubt, dass es irgendwann vorbei wäre und er zurück nach Hause dürfte. Er hat überhaupt nicht begriffen, dass er für immer dort bleiben sollte. Deshalb verstehe ich nicht, wie das zu der Theorie passen soll, er hätte das Heim abgebrannt, um nach Hause zu kommen.« Linda verschränkte mit ernstem Gesichtsausdruck die Arme, und ihr sympathisches Lächeln verschwand. »Damals, bei dem Prozess, waren wir alle so niedergeschmettert, dass die Trauer alles andere überschattet hat. Man hatte furchtbares Mitleid mit den Verstorbenen, aber auch mit Jakob. Es war wie eine emotionale Achterbahn. Ich bin nie auf die Idee gekommen, die Ermittlungen anzuzweifeln. Darauf bin ich erst viel später gekommen, aber da war es zu spät. Jetzt denke ich darüber nach, ob alles anders gekommen wäre, wenn ich mich mehr eingemischt hätte. Und das ist kein gutes Gefühl, kann ich dir sagen. Ich habe das irgendwie alles verdrängt, um nicht darüber
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