Feuerprinz
rief er: »Wo ist der Mensch, den sie Braam nennen? Suragon hat die Königin von Engil zurückgebracht, wie er es befohlen hat.«
Lautes Gemurmel wurde laut, die Greife wichen zurück – auf Lin wirkten die Engilianer, als besäßen sie keinen eigenen Willen mehr. Ihre Blicke waren stumpf wie die von Falbrindern. Lin schauderte. Sie hatte solch verlorene Blicke schon einmal gesehen – in den Augen ihrer Mutter Ilana kurz vor deren Tod. Nur wenige schienen Elvens Einfluss widerstehen zu können.
Durch die Reihen der Menge schob sich eine Gestalt und kam direkt auf sie zu. Ein großer Mann mit einem Waffengürtel aus Greifensilber, der ihn als Elvens ersten Gefolgsmann auswies. Sie kannte diesen Gürtel. Er hatte Braam gehört; zu Lins Überraschung war es jedoch nicht Braam, sondern sein Vater, der ihn trug. Gewichtig blieb er vor ihnen stehen und musterte zuerst Suragon. Dann starrte er sie unverhohlen an und ließ dabei keineStelle ihres Körpers aus. »Lin … du bist also zurück.« Er sprach mit ihr, wie man zu einem kleinen Kind gesprochen hätte, und sie spürte, dass er sie mit jedem Wort verspottete. »Leider kam dein Einsehen zu spät. Salas Priesterinnen müssen geopfert werden!« Er hob den Finger und wies in den Himmel. »Genau sieben Mal wird die Sonne noch aufgehen, bevor ihr Blut den Opferkreis weiht. Der neue Tempel ist fertig.«
Lin spürte, wie ihre Beine nachzugeben drohten. Nun war wirklich alles umsonst gewesen. Sie konnte weder die Dienerinnen Salas vor ihrem Schicksal bewahren noch ihr Volk von Elvens Schreckensherrschaft befreien.
Unglückselige Lin!
Das gemeine Grinsen des Taluk würde sie in ihren Träumen verfolgen, wenn das Blut der Mädchen längst vergossen war. »Wo ist Elven?« Vielleicht gab es doch noch ein Wunder, und sie konnte ihn durch ihre Rückkehr dazu bewegen, wenigstens die Priesterinnen zu verschonen.
»Du musst dich bis zur Einweihung gedulden. Seine Zeit ist ausgefüllt.«
»Und Braam?« Lin spürte, dass irgendetwas nicht stimmte, und das kurze Zucken der Mundwinkel ihres Gegenübers bestätigte ihr ungutes Gefühl.
Plötzlich bahnte sich eine weitere Gestalt ihren Weg durch die gaffende Menge. Die junge Frau zeigte weder Angst, noch war ihr Blick stumpfsinnig. Um ihren Hals lag die Kette mit den drei durchscheinenden Tränen der Göttin. Lins Herz machte einen Satz vor Freude und Erleichterung. Jevana! Obwohl die zweite Priesterin ihr zur Flucht verholfen hatte, schien es ihr gutzugehen. Über dem Arm trug Jevana eine Decke, die sie Lin um die Schultern legte, sobald sie vor ihr stand. Dann sah sie Braams Vater verächtlich an. »Ja, Taluk und erster Gefolgsmann des Königs – sag uns doch, wo dein Sohn ist! Hast du ihn geopfert, um seinen Platz einzunehmen? Und wo ist Elven? Scheut er sich, der Königin vonEngil sein wahres Antlitz zu zeigen, weil es so furchtbar ist? Vielleicht hat deinen Sohn dieser Anblick das Leben gekostet.«
»Schweig!«, brüllte er zurück.
Lin war sich mehr als sicher, dass die zweite Priesterin Salas mit ihren Fragen und Vorwürfen sehr nah an die Wahrheit herangekommen war. Der Taluk nickte Suragon zu. »Die Königin von Engil war nur ein Teil deiner Aufgabe.«
»Der Halbgreif ist entkommen«, antwortete Suragon wahrheitsgemäß.
»Wie konnte das passieren? Ihr wart so viele, und er war allein!« Elvens neuer Gefolgsmann sah sich um und suchte dann den Himmel mit den Augen ab. »Wo sind die Greife, welche mit dir nach ihm gesucht haben? Und die Königin: Hast du sie angerührt?«
Suragon starrte den Taluk eine Weile an, als wolle er sich mit ihm messen, dann senkte er den Blick. »Suragon hat die Königin nicht angerührt, und die Greife hat er fortgeschickt. Er wollte den Halbgreifen alleine töten.«
Der Taluk machte ein verächtliches Geräusch und spie auf den Boden. Ganz offensichtlich schien er nicht davon überzeugt, dass Elvens Einfluss auf Suragon besonders stark war. »Es wird sich zeigen, ob deine Ernennung zum Anführer deiner Sippe klug war.« Er nickte dem Greif zu und gab Suragon damit zu verstehen, dass er gehen konnte.
Jevana nutzte die Ablenkung durch Suragon und zog Lin fort. Doch Elvens neuer Gefolgsmann stellte sich den beiden in den Weg. »Was soll das, Priesterin? Wohin willst du mit ihr?«
Lin beneidete Jevana nicht das erste Mal um ihren Mut. Sie war sich sicher, die zweite Priesterin hätte noch die Ruhe bewahrt, wenn Elven selbst vor ihr gestanden hätte. »Was glaubst du denn?«, fuhr Jevana ihn
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