Feuerprinz
an, als wäre es selbstverständlich, Elvens erstem Gefolgsmann die Stirn zu bieten. »Soll die Königin von Engiletwa in den verseuchten Palast zurückkehren, der nach faulem Fleisch stinkt? Ich bringe sie in Salas Tempel. Dort ist sie auch sicher vor dem Greifenpack. Das ist doch im Sinne des Königs? Da er selbst ja verhindert zu sein scheint, die Königin vor seinen Kreaturen zu beschützen.«
In Jevanas Worten hatte deutlicher Spott gelegen. Trotzdem trat der Taluk zur Seite und nickte, ohne auch nur einen einzigen Einwand zu erheben.
Er weiß Dinge, von denen ich nicht einmal etwas ahne
, wurde Lin klar, als sie untergehakt an Jevanas Arm die Stufen zum Tempel hinaufstieg. »Was ist hier los?«, flüsterte sie Jevana zu, die leise antwortete. »Ich weiß es nicht genau. Braam ist seit einigen Tagen verschwunden, ebenso wie Elven. Ich habe beobachtet, wie sie etwas in der Nacht von Braams und Elvens Verschwinden in den neuen Muruktempel getragen haben. Es lag auf einer Tragebahre und war mit dunklen Tüchern verhüllt.« Jevana zog den Riegel der Tempelpforte hoch und schob Lin ins Innere. »Ich weiß noch nicht, was in sieben Tagen geschehen wird – aber in Salas Tempel ist es am sichersten für dich.«
Die Erleichterung der Mädchen, sie endlich wiederzusehen, wich einem unglücklichen Schweigen, als Lin zugeben musste, dass es keine Hilfe für Engil geben würde. Zuerst riefen die Mädchen noch aufgebracht durcheinander.
Wird Degan denn nicht mit seinen Greifen kommen, um gegen Elvens Geschöpfe zu kämpfen? Was sagt Nona, und was sagen die Waldfrauen? Wird denn wirklich niemand kommen, um uns zu helfen?
Lin musste all diese Fragen mit einem Kopfschütteln beantworten. Zuletzt schwiegen alle bedrückt.
Nach einer Weile erzählten die Mädchen ihr, dass sie seit Lins Flucht aus Engil in Salas Tempel eingesperrt waren und auf den Tag ihrer Opferung warteten. Lin schluckte die Tränen ihresSchuldgefühls hinunter, als die Jüngste ihr erklärte, dass es Jevana gewesen war, die niemals den Glauben verloren hatte, dass Lin zurückkehren und Engil befreien würde. »Jevana kommt jeden Abend heimlich und bringt uns Essen. Das, was Elvens Männer uns zugestehen, würde uns an den Rand des Hungertodes treiben.«
Eine andere schüttelte verbittert den Kopf. »Vielleicht wäre es einfacher, den Tod zu akzeptieren, wenn wir halb verhungert wären.«
Sie waren verzweifelt, und Lin wusste nicht mehr, wie sie ihnen hätte Trost spenden können.
Salas Statue wurde von einem einzigen Feuerbecken beleuchtet. Ihr steinernes Gesicht lächelte gütig auf die Schar ihrer Priesterinnen hinab und versprach trügerischen Schutz. Lin wandte sich von der Statue ab. Wenn die Mädchen die Wahrheit geahnt hätten … Sie warf den Priesterinnen, die sich unter der Statue der Göttin zusammengekauert hatten, verstohlene Blicke zu. Wie viel wussten sie … von ihr … und von Sala? Davon, dass die Göttin unter ihnen war, aber diese Tatsache sie nicht retten würde? Waren ihre Blicke vorwurfsvoll? Lin glaubte bald, in jeder einzelnen Geste zu erkennen, dass die Priesterinnen ihr Geheimnis kannten.
Erst im Laufe des Nachmittags wurde ihr klar, dass keine von ihnen ahnte, welches Geheimnis sie in sich trug, und sie beruhigte sich. Es hätte die Mädchen ohnehin nur falsche Hoffnung schöpfen lassen. Sie fühlte sich weder wie eine Göttin, noch besaß sie Fähigkeiten, mit denen sie etwas an der Lage der Mädchen oder an ihrer eigenen hätte ändern können.
Am frühen Abend brachte Jevana Brot und Früchte. Sie reichte alles durch das Bodengitter in der Tempelwand. Als Lin an der Reihe war und ihren Arm durch das Gitter streckte, hörte sie Jevana flüstern: »Ich komme noch einmal, wenn die Mädchen schlafen.Wir müssen reden.« Dann hörte Lin, wie ihre Schritte sich entfernten.
Sie wartete lange und kämpfte gegen ihre Müdigkeit, doch Jevana kehrte nicht zurück. Immer wieder war sie versucht einzuschlafen, und die langen Nachtstunden flossen zäh dahin. Obwohl sie nicht genau wusste, welche Stunde es war, musste es bereits auf den Morgen zugehen, als sie Schritte hörte.
Als sie Jevanas Stimme erkannte, schob Lin ihre Hand durch das Gitter, und die zweite Priesterin nahm sie in ihre. Lin konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. »Jevana … ich habe nichts erreicht. Meine Flucht war umsonst. Es tut mir so leid.«
»Lin«, flüsterte Jevana. »Ich weiß, wer du bist; ich weiß, dass die Göttin sich in dir
Weitere Kostenlose Bücher