Feuerprinz
helfen würde oder auch nur einen Blick für sie hatte.
Der Taluk zerrte sie zurück zum Muruktempel. Jevana zweifelte nicht daran, dass er ihr die Kehle durchschneiden und ihr Schicksal damit besiegeln würde.
Ich muss meine Kräfte sparen!
Sie gab ihre Gegenwehr scheinbar auf und ließ sich in den Opferkreis ziehen, der bereits vom Blut der Gefallenen getränkt war. Sie suchte zwischen all den toten Greifen und Menschen nach den Körpern der Priesterinnen und stellte erleichtert fest, dass sie nicht hier waren. Elvens Hohepriester setzte ihr den Dolch an die Kehle und flüsterte: »So geh zu Muruk … oder Elven … wie immer du
ihn
nennen willst … und bestelle meinem Sohn Braam Grüße, wenn du ihn im Reich des Gottes begegnest.«
Es war vorbei. Es gab keine Rettung für sie. Jevana schloss die Augen und wartete auf den Streich, der sie aufschlitzte. Nichts geschah. Stattdessen wurde sie umgestoßen und landete hart im Sand.
Sie öffnete die Augen und sah ihren vermeintlichen Mörder in den Klauen eines verwandelten Greifen zappeln, der sich imposant auf die Hinterbeine gestellt hatte und mit den Schwingen schlug. Den Opferdolch hatte der Taluk fallen lassen, und er schrie wie am Spieß, als der Greif sich dazu bereitmachte, ihm den Kopf mit einem einzigen Hieb seines riesigen Schnabels abzuhacken.
Etwas, dachte Jevana unvermittelt, war seltsam an diesem Greif – eine seiner Schwingen war verletzt, obwohl sie keine frische Wunde entdeckte, und sein Blick war irgendwie so … zahm? »Warte!«, rief sie und ging langsam auf den Greif zu. Sie fand es seltsam, einem dieser Wesen so nahe zu kommen. Seine Augen waren wild, und doch war da etwas, das sie faszinierte und gleichermaßen verwirrte. Jevana streckte ihre Hand aus und berührte seinen Schnabel. Er war glatt und warm. Das wilde Geschöpf ließ sich ihre Berührung gefallen, während der Blutpriester sie anschrie: »Sag dem Vieh, es soll mich loslassen!«
Jevana beachtete ihn nicht, bückte sich stattdessen und nahm den Opferdolch in die Hand. Er war schwer, ein kalt gehämmertes Kunstwerk, das nur zu einem einzigen Zweck geschaffen worden war – dem Blutgott neue Opfer zuzuführen. Jevana sah dem Greif in die Augen, davon überzeugt, dass er jedes Wort verstand. »Wir wollen ihn doch nicht um das Vergnügen bringen, seine Ewigkeit jenem Gott zu widmen, dem er auch im Leben gedient hat.«
Der Greif senkte leicht den Kopf wie zum Zeichen seines Einverständnisses und krächzte. War da ein verhaltenes Lachen in seinen Lauten? Jevana glaubte es herauszuhören.
Als ihm klar wurde, was die zweite Priesterin vorhatte, wurde die Stimme des Opferpriesters weinerlich. »Du bist Salas Priesterin …
ihr
tut so etwas nicht!«
Jevana setzte den Dolch an seine Kehle und dachte an Lins tote Eltern, an die Priesterinnen, an die von Elven getöteten Mädchen; und sie dachte sogar an Braam, dessen eigener Vater keine Träne für ihn übrig hatte. Dieser Mann hier verdiente kein Mitleid. »Ich bin nicht mitfühlend wie Lin, noch bin ich weise … Ich will nur Engil von deinesgleichen befreien. Also geh zu deinem Gott und leiste deinem Sohn Gesellschaft!«
Mit einer schnellen Bewegung zog Jevana den Dolch über die Kehle des Taluk und sah zu, wie er mit gurgelnden Geräuschen zusammensackte. Der Greif ließ ihn los und krächzte. Wieder meinte sie etwas aus seinem Krächzen herauszuhören … Bewunderung? »Ich danke dir«, sagte Jevana an den Greif gewandt und spürte, dass sie verlegen wurde. »Degan braucht Hilfe. Er kämpft gegen Suragon am Sala-Tempel.«
Ohne zu zögern, erhob sich der Greif in die Luft und flog geradewegs Salas Tempel an. Jevana sah ihm hinterher und war sich nun sicher, dass er sie verstanden hatte. Sie drückte den Opferdolch an die Brust. Auch für sie gab es noch etwas zu tun! DerPlatz vor dem Muruktempel war menschenleer. Nur die Toten dieser unsinnigen Schlacht bewachten ihn. Langsam stieg Jevana die Stufen zum Tempel des Blutgottes hinauf. Elven war hier, sie spürte es! Sie krampfte die Hände um den Dolch und hielt ihn, so fest sie konnte. Nun war es an ihr – sie würde den dunklen Gott dorthin zurück schicken, wo Braam und sein Vater schon auf ihn warteten. In sein dunkles Reich!
Die Königin der Verlorenen
Lin wusste nicht, wie lange sie gelaufen war, doch es kam ihr vor, als wären es Tage gewesen. Mit jedem Schritt war ein Stück ihrer Erinnerung entschwunden; zuerst waren es nur unwichtige Dinge gewesen. Sie begann sich
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