Feuerprinz
Leib erfahren hatte. Lin fühlte sich mittlerweile, als lebe sie im Palast unter Fremden. Elven schlug alle in seinen Bann – nur sie selbst, Jevana und Salas Priesterinnen ließen sich nicht von ihm blenden, und in der Unterstadt bei den Falbrindbauern und einfachen Händlern wurde Elvens Name ebenfalls noch mit Furcht oder mit Groll ausgesprochen.
Aufmerksam sah Lin sich um, während sie hinter dem Silo darauf wartete, dass die Arbeiter aus ihrem Blickfeld verschwanden. Elven ließ sie beobachten … von den Dienern, von Braam … und als ob das nicht genug gewesen wäre, schlich auch Vay ihr heimlich hinterher, als suche sie nach einer Gelegenheit, ihr zu schaden.
Elven schien niemandem zu trauen außer Braam. Er wurde niemals müde und brauchte keine Ruhe. Seinem aufmerksamen Blick entging nichts.
»Lin …«, warnte Jevana sie leise und zog sie weiter zum nächsten Silo.
Braam kam die Anhöhe herauf, direkt auf sie zu – wahrscheinlichum sich hinter den Getreidespeichern zu erleichtern. Er fühlte sich unübersehbar wichtig und zeigte dies durch seinen ausladenden Gang und seine wachsamen Blicke.
Lin nickte Jevana zu und wies in die Richtung, in der Salas Tempel lag. Es war Zeit zu verschwinden. So leise es ging, liefen sie den Hang hinunter, bis sie den verlassenen Tempelbezirk erreichten. Hier fühlten sie sich sicher. Lin seufzte, und Jevana blickte sehnsüchtig zu dem verschlossenen Tempelportal hinüber. »Es ist ein Jammer, dass wir nicht hinein dürfen. Ein Blick in Salas Feuer würde dir vielleicht Elvens wahre Pläne offenbaren.«
Schnell schüttelte Lin den Kopf. »Ich habe kein Bedürfnis danach, die wahren Pläne meines falschen Gefährten zu erfahren. Mir würde es reichen zu wissen, wie ich ihn aus Engil vertreiben kann.« Um nichts in der Welt wollte sie noch einmal eine Vision heraufbeschwören.
Um Jevana von ihren gefährlichen Einfällen abzulenken, hakte Lin sich bei ihr unter. Gemeinsam schlugen sie den Weg zur Unterstadt ein. Je mehr Abstand sie zwischen sich und Elven wusste, desto gelöster fühlte Lin sich. In der Unterstadt, in der Händler, Schankwirte und Bauern lebten, die kaum in Elvens Nähe kamen, waren die Menschen noch nicht in seinen Bann geraten.
Jevana wusste, dass Lin bei den Waldfrauen gewesen war. Diese Tatsache war es gewesen, die sie nach ihrem Streit wieder versöhnt hatte. »Sehr vorausschauend von dir«, hatte Jevana ihr geantwortet. »Denk an Liandra und ihr schreckliches Ende.«
Lin dachte oft an Liandra, doch aus anderen Gründen, als Jevana das tat. Liandra war vor ihr Hohepriesterin der Sala und die Mutter der Greifin Xiria gewesen – jener Greifin, der Degan verfallen war. Als Xiria mit Degans Hilfe aus ihrem Gefängnis hinter dem Tempel entkommen war, hatte sie ein Meer aus Blut hinterlassen, und ihr erstes Opfer war ihre eigene Mutter gewesen. Liandra war beimÜberfall auf Engil in ihrer Jugend von einem Greif vergewaltigt worden und hatte die Schändung verschwiegen. Elven war kein Greif, doch wer wusste schon, welche Art Nachkommen der Samen eines Murukdieners zeugte.
Während sie mit Jevana die Brücke über den Sandfluss überquerte, wurde Lin immer wieder von Menschen angesprochen, die verängstigt fragten, wann Salas Tempel wieder geöffnet werde und warum der Prinz von Engil einen neuen Tempel für Muruk errichten ließ. Lin versuchte, so gut sie es vermochte, die Menschen zu beruhigen. In den meisten Augen lag Furcht, aber auch Ärger, da Lin augenscheinlich nichts gegen diesen Irrsinn unternahm. Es kostete sie große Mühe, Erklärungen für etwas zu finden, was eigentlich unerklärlich war.
Doch Lin und Jevana hatten beschlossen, alles zu tun, um Angst und Panik unter den Engilianern zu vermeiden. Lin hatte keine Ahnung, was Elven tun würde, wenn man offen gegen ihn rebellierte oder die Menschen versuchten, aus Engil zu fliehen. Niemand wusste, wie groß seine Macht wirklich war. Bisher bestand Lins Plan darin, zu den Waldfrauen zu gehen, sobald Elven ins Taligebirge aufbrach, um die fehlenden Steine für den Tempel schlagen zu lassen … falls er nicht Braam schickte und so ihren Plan zunichtemachte.
Jevana zog sie weiter und entschuldigte sich bei den aufgebrachten Menschen mit der Ausrede, dass sie von einer werdenden Mutter erwartet wurden, um für das Neugeborene ein Schutzamulett anzufertigen.
»Alles Reden bringt nichts«, flüsterte sie Lin ins Ohr. »Mittlerweile bin ich selber froh, dass du niemandem von deinen Visionen
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