Feuerprinz
mehr, und ihre Füße schienen zu Eisklumpen gefroren. Sie war fest davon überzeugt, ihre Muskeln und Sehnen würden reißen, während sie sich krampfhaft an Jayamons Körper festzuklammern versuchte. Beim Blick in die Tiefe fragte sie sich, ob der Greif verhindern würde, dass sie abstürzte, falls ihre Kraft sie endgültig verließ.
Zuerst war es entsetzlich gewesen, Jayamon so nah zu sein. Unwillig hatte Lin mit den Armen seinen Oberkörper umschlungen und sich, so gut es ging, an seinen stachelartigen Wirbelknochen festgeklammert. Doch je schwerer ihre Arme wurden, desto mehr war ihr Bedürfnis nach Abstand der panischen Angst gewichen, wie ein Stein in die Tiefe zu stürzen. Mittlerweile hatte sie ihre Scham gänzlich abgelegt – mit ihren Beinen umklammerte sie Jayamons Taille, weil ihre Arme kaum noch Kraft hatten.
Unter ihnen zog das grüne Blätterdach des Isnalwaldes vorüber. Lin hätte geglaubt, dass es so nah bei der Sonne wärmer sein musste. Doch das Gegenteil war der Fall. Nachdem Jayamon sie den gesamten Nachmittag durch die Luft getragen hatte, fror sie erbärmlich.
»Ich brauche eine Rast«, rief sie gegen den Wind. Der Greif machte jedoch keinerlei Anstalten zu landen. Lin war verzweifelt und klammerte sich noch fester an ihn. Ihre Finger waren taub, und sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick den Halt zu verlieren. Er musste doch verstehen, dass sie nicht über seine Kraft verfügte. Greife waren sehr viel stärker als Menschen. Lin versuchte erneut, ihn zu erweichen. »Bitte, ich kann mich nicht mehr festhalten.«
Endlich schien Jayamon ein Einsehen zu haben und umfasste ihre Taille. Unwillkürlich hielt sie die Luft an. Er bemerkte es nicht. »Jayamon und Jevana sind fast am Ziel.«
Lin überkam ein ungutes Gefühl. »Unsere Abmachung war, dass du mich zu den Waldfrauen bringst!«
Jayamons Schwingen flappten unermüdlich im Wind. »Jevanas Handel mit Jayamon ist, dass sie ihm Nachkommenschaft gewährt. Erst wenn sie das getan hat, wird Jayamon seinen Teil des Handels erfüllen und sie zu den Waldfrauen bringen.«
Lin versuchte, sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen. Siehätte damit rechnen müssen. Der Greif würde sie nicht zu den Waldfrauen bringen, bevor sie seine Brut ausgetragen hatte. Die Alten kannten Mittel und Wege, ein ungewolltes Kind aus dem Bauch einer Frau zu treiben, das wussten auch die Greife.
Unglückselige Lin
… War sie denn dazu verdammt, für den Rest ihres Lebens Fehler zu begehen?
Lin überlegte, Jayamon zu offenbaren, wer sie war. Doch das wäre nicht klug, solange sie hilflos an ihn geklammert in der Luft hing – entweder würde er sie auf dem kürzesten Weg nach Engil zurückschleppen oder einfach wie einen Stein fallen lassen.
So gut es ging, versuchte sie, ihre steifen Muskeln zu entspannen.
Nur nicht darüber nachdenken!
Den schneidenden Wind spürte Lin mittlerweile wie Nadelstiche in ihrem Gesicht und am ganzen Körper, denn die Sonne ging bereits unter. Gerade wollte sie Jayamon fragen, wohin er sie brachte, als sie den Waldrand sah.
Das dichte Blätterdach verschwand, stattdessen überflogen sie nun bräunliches Flachland ohne Bäume. Lin war hier schon einmal gewesen – damals hatte sie auch ein Greif in ihrer Gewalt gehabt … Xiria … Lin erschrak. Der Greif schien ihre Angst ebenfalls zu bemerken. »Jayamon wird Jevana sicher über das Sumpfland tragen … kein Schjack wird ihr zu nahe kommen.«
»Wohin bringst du mich?«, rief sie ängstlich.
Er wies auf den Horizont, und Lin folgte seinem Fingerzeig mit den Augen, obwohl sie längst ahnte, wohin Jayamon sie brachte. Am Ende des Sumpflandes gab es nur noch eines – Dungun! Die verlassene Stadt des Blutgottes, wohin auch Xiria sie vor drei Jahresumläufen geschleppt hatte.
»Ich dachte, Dungun wäre verlassen«, versuchte sie Jayamon von seinem Vorhaben abzubringen.
»Dungun ist verlassen, nur Schjacks streunen noch auf der Suche nach Beute in den Straßen herum.«
Lin konnte es nicht fassen. »Du sagtest, du bringst mich an einen sicheren Ort.«
Jayamon nickte. »Ja, Menschin. Jayamon wird Jevana an den sichersten Ort bringen, den es gibt. Kein Schjack kommt dorthin, nur Jayamon.«
Lin war nicht überzeugt, dachte aber daran, dass sie noch immer hilflos wie ein Kind an ihm hing. Versuchen, ihm zu entkommen, konnte sie erst, wenn sie sicheren Boden unter den Füßen hatte. Also zwang sie sich, zu schweigen und sich scheinbar in ihr Schicksal zu fügen.
Lin fiel auf harten
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