Feuerprinz
hätte vielleicht eine Träne für ihre vergebliche Liebe vergießen können …
Dann erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Vor die Sonne hatte sich ein dunkler Punkt geschoben. Vielleicht begannen ihre Sinne sie zu täuschen, doch er sah aus wie ein Vogel mit riesigen Schwingen. Ein einzelner Vogel, der nach Dungunflog.
Kein Vogel … ein Greif! Elven hat Greife geschickt, mich zu suchen!
Lin begann, ohne Tränen zu weinen. »Nicht zurück zu Elven«, sagte sie immer wieder zu sich selbst, obwohl dies ihre letzte Möglichkeit gewesen wäre, dem sicheren Tod zu entkommen. Aber Elven war der Tod, und er würde sie einsperren und bewachen lassen, so dass sie ihm niemals mehr davonlaufen konnte.
Ihr Blick fiel auf den faustgroßen Stein. Ihre Mordwaffe! Er lag noch immer, verklebt von Jayamons Blut, neben ihr. Lin nahm ihn in die Hand – ein zweites Mal. Er war ihre letzte Hoffnung.
Der Greif kam näher. Jetzt konnte sie seine Gestalt erkennen und das Flappen seiner Schwingen hören. Mit dem Stein in der Hand duckte sich Lin hinter der Brüstung, als ob diese ihr Schutz hätte bieten können. Der Greif war aus ihrem Blickfeld verschwunden. War er fort? Ihr Herz raste vor Angst.
Sie versuchte sich aufzurichten, indem sie sich an der Brüstung hochzog, doch in diesem Augenblick schoss etwas Dunkles an der gegenüberliegenden Mauer wie ein Pfeil in die Höhe, schlug in der Luft einen Haken und kam dann auf sie zu.
Lin schrie … Ihre Stimme klang wie eingerostet in ihren Ohren. Mit letzter Kraft schleuderte sie den Stein nach dem Greif. Der wich geschickt aus und landete sicher in der Mitte des Turmes. Sie schlug die Hände vor die Augen und wartete darauf, dass er sie packte und hochzerrte.
Vorbei … alles vorbei …
»Keine freundliche Begrüßung, mit einem Stein beworfen zu werden«, vernahm sie eine gekränkte Stimme. »Beinahe wäre Dawon von hässlichen Schjacks gefressen worden!«
Lin blinzelte durch ihre Finger. Ihr Kopf begann nur langsam zu verarbeiten, was ihre Augen sahen. Vor ihr hockte ein Greif, doch sein Haar war dunkel, ebenso wie seine Schwingen. Sein Gesichtsausdruck schien eine Mischung aus Verletzlichkeit und Besorgnis.Sie stutzte; in seinem Gesicht spiegelten sich tatsächlich Gefühle! Ruckartig setzte sie sich auf und starrte ihn an wie ein vom Himmel gefallenes Wunder. »Der dunkle Greif, der fühlen kann!«
Erfreut darüber, dass sie anscheinend wusste, wer er war, legte Dawon den Kopf schräg und musterte sie ausgiebig. »Lin, Menschin, Tochter von Ilana, ist Dawons Freundin. Dawon ist gekommen, um Lin zu helfen.«
Das war die beste Nachricht, die sie seit langem bekommen hatte. »Aber woher wusstest du überhaupt, dass ich hier bin?«
Dawon lächelte so unbedarft, wie ihre Mutter ihn immer beschrieben hatte. »Nona, Dawons Gefährtin, ist eine Lalufrau, und Lalufrauen können die Rufe der Waldfrauen hören. Und Waldfrauen wissen alles. So hat Nona es erfahren und Dawon geschickt, Lin zu den Waldfrauen zu bringen.« Ohne auf eine Antwort zu warten, kam er näher und reichte ihr die Hand. »Lin muss sich nicht sorgen … Dawon wird sie fortbringen aus Dungun, fort von stinkenden Schjacks.«
Die Wahrheit des Feuers
Dawon landete fast lautlos auf einer kleinen Lichtung. Lin war glücklich, endlich wieder festen Boden unter ihren Füßen zu spüren, auch wenn er nach dem langen Flug erheblich zu schwanken schien. Natürlich war es sie selber, die taumelig und zittrig war, doch das änderte nichts an ihrem schwankenden Gang. Während Dawon leichtfüßig über das Gras lief, stolperte sie steifbeinig hinter ihm her. »Warte«, bat sie ihn, und Dawon blieb stehen. »Lin muss Beine und Muskeln bewegen.« Er nahm ihren Arm und führte sie zu den beiden Häuschen auf der Lichtung, die aussahen, als würden sie beim nächsten Windstoß einstürzen. Dawon wies auf die Hütten. »Waldfrauen hier sind sehr alt! Haben Dawon versorgt, als er verletzt war, und auch Nona geholfen.«
Lin fühlte sich zu müde, um zu antworten. Er hatte sie beinahe bis zum Abend durch die Luft getragen, nun wollte sie nur noch schlafen, auch wenn die Hütten eher eng und nicht gerade einladend aussahen; und sie hatte Durst. Einen ganzen Bach hätte sie leer trinken können und ein ausgewachsenes Falbrind verschlingen …
Dawon rief ein freundliches
Belis nani
. Kurz darauf schlurften zwei uralte Waldfrauen unter Ächzen und Stöhnen aus ihren Behausungen, um die Ankömmlinge misstrauisch zu mustern. Lin konnte
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