Feuerprinz
Mädchen erwarteten sie bereits. Jevana bückte sich und schob kleine Brotlaibe und Früchte durch die Stäbe, die sie hungrig, wie sie waren, sofort aßen. Das Gitter war leider nicht groß, ein Kind hätte sich vielleicht mit Mühe durch das Loch zwängen können, wäre es ihm gelungen, die Stäbe zu entfernen. Für ausgewachsene Frauen war es unmöglich. Trotzdem war Jevana froh, dass sie wenigstens etwas für die Mädchen tun konnte, denn Braam ließ sie hungern.
»Hast du etwas Neues gehört?«, fragte eines der Mädchen ängstlich.
Jevana überlegte, was sie offenbaren konnte, um ihnen nicht noch mehr Angst zu machen. »Braam hat die Greife geschickt, um Lin zu suchen, doch sie sind ohne sie zurückgekehrt. Dafür haben sie Jayamon, den Anführer der Greife, gefunden … oder das, was von ihm noch übrig war. In Dungun, neben einem großen Turm. Die Schjacks haben ihn gefressen. Es scheint so, als hätte Jayamon Lin nach Dungun auf diesen Turm gebracht, um sich mit ihr zu paaren. Dann ist irgendetwas geschehen … ein Gerangel, bei dem Jayamon getötet worden ist.« Jevana atmete tief durch, bevor sie weitersprach. »Von Lin fehlt jede Spur. Es gab Blutspuren auf dem Turm, wahrscheinlich stammen sie aber von Jayamon.«
Schweigen breitete sich hinter dem Gitter aus, bis eine sich wagte zu flüstern: »Glaubst du, dass Lin auch von den Schjacks gefressen worden ist?«
Jevana berührte Salas Tränen und schüttelte den Kopf. »Nein! Ich spüre, dass sie noch lebt. Sie ist entkommen. Jemand hat ihr geholfen.«
»Wer?«, flüsterte das Mädchen.
Jevana zuckte mit den Schultern. Dann fiel ihr ein, dass die Mädchen sie nicht sehen konnten. »Ich weiß es nicht«, sagte sie deshalb. Auch Braam schien vollkommen ahnungslos über Lins Schicksal. Man konnte förmlich zusehen, wie er immer gereizter wurde – er musste Lin finden. Jevana reichte die letzten Früchte durch das Gitter und seufzte. Elven war seit Lins Verschwinden nicht mehr auf der Baustelle seines neuen Tempels gewesen. Er hatte sich in den Palast zurückgezogen und erteilte seine Befehle durch Braam. Doch am Morgen hatte Jevana Elven gesehen, als er neben Braam den Palasthügel herunterkam – noch bevor die Sonne aufgegangen war. Sie hatte sich hinter einem Baum versteckt undwar erschrocken, als sie Elven ins Gesicht gesehen hatte. Seine Augen schienen blutrot zu lodern. Braam hatte leise auf ihn eingeredet, es war um Lin gegangen und darum, dass Braam sie endlich finden und zurück nach Engil bringen sollte. Geradezu besessen schien Elven von Lin zu sein.
»Jevana«, unterbrach eine der jungen Priesterinnen ihre Gedanken und streckte ihre schmale Hand durch das Gitter. Jevana ergriff sie und versuchte, Zuversicht auszustrahlen. »Wird Lin zurückkehren? Wird sie uns helfen?«
»Das wird sie«, antwortete Jevana, wie um sich selbst zu überzeugen. »Ich verspreche es euch. Lin wird Engil von Elven und dem Blutgott befreien.«
»Wie?«, hauchte ein anderes Mädchen, und ihre Stimme hinter dem Gitter klang tränenerstickt.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Jevana, und wieder wanderten ihre Hände zu Salas Tränen, die warm und tröstend auf ihrer Haut lagen. »Aber ich weiß, dass sie uns helfen wird!«
Lin hatte fast einen ganzen Tag lang geschlafen und zwei Schalen mit Früchten sowie einen Laib noch warmes Brot gegessen. Danach hatte sie zwar im Schlaf Magenschmerzen gehabt, doch sie war zu erschöpft gewesen, als dass sie davon aufgewacht wäre. Wie ein Tier hatte sie sich neben der warmen Asche des Kochfeuers auf dem Boden zusammengerollt, eine muffige Webdecke über ihren Kopf gezogen und war eingeschlafen. Ihr Schlaf war trotz der winzigen Hütte, in der es nur eine einzige Pritsche gab, auf der die Waldfrau lag und laut schnarchte, erholsam gewesen.
Als Lin am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie den Geruch von kalter Asche und Moos in der Nase. Sie reckte sich ausgiebig und sah sich um. Durch die Holzbohlen der Hütte fiel Sonnenlicht, kleine Staubpartikel tanzten in der warmen Luft. An derDecke hingen Kessel und Kräuterbündel, die Feuerstelle war jedoch kalt und das mit Schaffellen und Webmatten ausgelegte Lager der Waldfrau leer. Lin stand auf und stellte fest, dass sie zwar einen Muskelkater hatte, ihre Arme und Beine aber nicht länger taub waren. Langsam begann sie sich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Sie rümpfte die Nase, als sie an ihrem von Asche und Erde fleckigen Gewand schnupperte.
Bei Salas hellem Licht … ich
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