Feuerprinz
wedelte sie mit den Armen und versuchte aufzutauchen, nur um festzustellen, dass es für ihren Körper keinen Auftrieb gab … und dass sie Wasser atmen konnte! Lin beruhigte sich. Zwar fiel es ihr schwer, das Wasser durch ihre Lungen strömen zu lassen, doch sie hatte dabei nicht das Gefühl zu ertrinken.
Wo bin ich?
Sie konnte nicht sprechen, doch ihre Gedanken trugen sich wie ein Echo durch das Wasser und erhielten eine vielstimmige Antwort.
Am Grund des Sandflusses, wo die Toten und Gefallenen des Schwesternthrons ausharren müssen
.
Aber ich sollte hier nicht sein
, antwortete sie den Stimmen aufgebracht und versuchte noch einmal vergeblich aufzutauchen.
Aber du bist hier, und wen der Sandfluss einmal hat, den gibt er nicht mehr her … du gehörst zu uns.
Lin erkannte vor sich schemenhafte Gesichter und Körper in der schimmernden Schwärze des Wassers. Es waren Frauen und Männer und sogar Kinder, einige trugen engilianische Kleidung, andere die Waffenröcke Dunguns, Keulen mit Schjackzähnen besetzt, Zierschmuck aus Greifensilber … Es waren Gesichter der Vergangenheit, Schatten und Geister.
Ich gehöre aber nicht zu euch.
Er sagt etwas anderes!
Sie wiesen mit wabernden Fingern auf einen Punkt in Lins Rücken. Sie wusste, bevor sie die grollende Stimme vernahm, dass die Kreatur mit den blutroten Augen sie gefunden hatte. Einen kurzen Augenblick war sie versucht zu schreien, dann zwang sie sich zur Ruhe. Sie durfte nicht in Panik geraten. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Dies hier war eine Vision … ein Gesicht, dem sie entkommen konnte. Es war ihr bereits zweimal gelungen. Die wabernden Gesichter und Gestalten vor ihr – sie würde einfach durch sie hindurchgehen.
»Sieh mich an!«, grollte die tiefe und furchteinflößende Stimme in ihrem Rücken. Lin beachtete sie nicht. »Du schuldest es mir!« Die Kreatur holte auf, wie in jeder ihrer vorangegangenen Visionen. Sie war nun dicht hinter ihr. Lin setzte Schritt vor Schritt, so ruhig es ging. Sie musste das Tor finden, den Kreis aus Feuer, der sie aus der Vision hinausführte. Lin spürte die Klauenhand der Kreatur auf ihrer Schulter und ihren heißen Atem im Nacken. »Dreh dich um … sieh mich an … du schuldest es mir!«, grollte das Wesen erneut.
Wo war bloß das Portal? Der aufwirbelnde Sand nahm ihr die Sicht. Plötzlich ahnte Lin, wo das Portal war … Sie war in die falsche Richtung gelaufen, sie würde sich umdrehen müssen. Das war nicht gut! Dieses Mal gab es keine Möglichkeit, den blutroten Augen zu entkommen. Langsam, so als wolle sie dem Wesen die Möglichkeit geben, im letzten Augenblick zu verschwinden, wandte Lin sich um. Gleich würde sie es sehen … riesig groß, mit scharfen, nadelartigen Zähnen, glühend roten Augen und einer schwarzen, schuppigen Haut. Atem wie Feuer, seine Berührung wie sengende Glut. Doch wenn sie aus dieser Vision hinausfinden wollte, dann musste sie sich auf sie einlassen. Lin wappnete sich innerlich gegen das Grauen und sah …
Elven!
»Meine Königin … « Er stand vor ihr, in einem der tiefblauenGewänder, die auch Tojar gern getragen hatte. Auf seinem Kopf lag die engilianische Krone aus Greifensilber. Er reichte ihr die Hand, doch sie wich vor ihm zurück.
»Du musst zu mir zurückkehren … Du schuldest es mir!«
Hinter ihm sah Lin den Feuerkreis aufleuchten. Nur wenige Schritte war sie vom Tor der Vision entfernt.
Ich bin Lin, du hast die falsche Königin verfolgt …
»Ich bin Elven und der Blutgott, den die Menschen Muruk nennen! Und du bist Lin, die Tochter von Engil … und du bist Sala, meine Gefährtin, welche die Menschen als Lichtgöttin verehren.«
Lin wollte nichts davon hören.
Nein!
Er sollte aufhören zu sprechen. Alles, was er sagte, war Lüge.
Elvens Augen leuchteten in blutigem Rot. »Zerstöre es nicht!«
Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Dies war eine Vision, und auch wenn sie von Elven kam, so hatte er keine Macht über sie, wenn sie es nicht zuließ. Mit geschlossenen Augen machte sie einen Schritt nach vorne … geradewegs durch ihn hindurch …
Lin schrie, als sie in der Hütte erwachte. Sie schlug um sich, während die beiden Waldfrauen sie festhielten. »Ich bin Lin! Ich bin Lin … Ich bin die Tochter von Ilana und Tojar … Ich bin Lin!«
»Ja, ja, das bist du!«, riefen die Alten wie aus einem Munde, während eine von ihnen begann, das Feuer mit einem Eimer Wasser zu löschen, und die andere sie weiter an den Schultern rüttelte,
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