Feuerprinz
rieche fast genauso schlimm wie ein Schjack!
Sie brauchte etwas Neues zum Anziehen und hoffte, dass die Waldfrauen heute besserer Laune waren.
Vorsichtig öffnete Lin die Tür der Hütte und rief nach Dawon. In der Morgensonne wirkte die Lichtung wie ein verzauberter Ort, an dem die Zeit stillstand.
»Hier oben, Lin, Tochter von Ilana«, rief eine freundliche Stimme zurück. Als Lin den Kopf in den Nacken legte, konnte sie gerade noch sehen, wie Dawon elegant aus der Hocke vom Ast eines Baumes sprang und mit ausgebreiteten Schwingen zu Boden glitt.
Lin ging zu ihm, und Dawon ließ sich mit untergeschlagenen Beinen ins Gras fallen. Anscheinend gefiel es ihm hier. Wie selbstverständlich hielt er ihr ein dünnes Stöckchen entgegen, das sie irritiert annahm. Dawon spreizte die linke Schwinge ab und lächelte. »Würde Lin Dawon helfen? Irgendwo zwischen seinen Federn steckt ein Stein, an den er nicht herankommt und der ihn beim Fliegen stört.«
Er wies auf eine Stelle an der Rückseite seines Flügels. Lin wusste nicht, wie man eine Greifenschwinge richtig behandelte, doch sie begann mit dem Stöckchen seine Federn zu durchkämmen und betrachtete Dawon dabei heimlich. Er war ein Bild von einem Mann, nur dass er Schwingen besaß und das Gemüt eines Kindes. Dawon war schlank und groß, mit Ansätzen von Muskeln, diejedoch weder grob noch plump wirkten. Sein Gesicht war markant, mit eckigem Kinn und hervorstehenden Wangenknochen. Sein Körper war haarlos, und ihm schien kein Bart zu wachsen. Das ungewöhnlich dunkle Greifenhaar fiel ihm bis zur Hüfte über die dornartigen Wirbelknochen. Dawon sah aus wie ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann, doch Lin wusste, dass er älter sein musste. Greife wuchsen in Schüben, weshalb von Greifen vergewaltigte oder verführte Frauen oft erst spät bemerkten, dass sie ein Greifenkind großzogen. Bis zum dritten Jahresumlauf entwickelten sich die Greife körperlich wie ganz normale Kinder. Mit dem ersten schmerzhaften Wachstumsschub im Alter von etwa drei Jahresumläufen brachen die dornartigen Wirbelknochen sowie die Schwingen aus dem Rücken hervor.
Dawon war in jeglicher Hinsicht ein Greif, nur dass sein Haar und seine Schwingen dunkel waren, seine Augen grün und sein Gesicht alle Gefühle widerspiegelte, die auch Menschen besaßen. Dawon war etwas Besonderes. Aber er war kindlich und sehr naiv.
Lins Stöckchen stieß auf einen Widerstand. Kurz darauf löste sich ein Stein, der zwischen zwei der großen Federn eingeklemmt gewesen war, und fiel zu Boden. Dawon seufzte erleichtert und schüttelte die Schwinge. »Ah, jetzt ist es besser.«
Lin warf den Stock fort und setzte sich neben Dawon ins Gras. Sie hatte beschlossen, dass er so harmlos war wie seine Artgenossen gefährlich. Wahrscheinlich hatte er die Nacht auf einem Baum verbracht und von seiner Gefährtin Nona geträumt. Mit ihm hier zu sitzen war angenehm und friedlich; Augenblicke wie diese hatte sie lange vermisst. »Wo sind denn die beiden Streithennen geblieben?«
Dawon wies mit dem Finger auf den Rand der Lichtung. »Waldfrauen sammeln Kräuter für Essen.«
Lin hatte schon wieder Hunger, wusste jedoch, dass es noch dauern würde bis zur nächsten Mahlzeit. Da sie ohnehin schmutzig war, legte sie sich auf den Bauch und ließ die Sonne ihren Rücken wärmen. Dawon tat es ihr gleich. »Siehst du Degan noch?« Sie hatte sich die Frage eigentlich verkneifen wollen, doch sie war ihr einfach herausgerutscht.
Dawon nickte gedankenverloren. »Nona und Dawon sind immer in Degans Nähe. Aber Degan hat entschieden, anders zu sein.«
Lin runzelte die Stirn und bemühte sich um einen gleichgültigen Klang in der Stimme. »Wie meinst du das?«
»Anders«, orakelte Dawon, und ihr kam es so vor, als wolle er nicht mehr dazu sagen. Stattdessen wurde sein Blick traurig. »Ilana ist tot … und Tojar, ihr Gefährte?«
Lin nickte und fuhr ihm tröstend über die Schwinge, obwohl doch eigentlich sie Trost gebraucht hätte. Ilana und Tojar waren ihre Eltern. Dawon hatte sich hingegen seit Jahresumläufen nicht in Engil blicken lassen. Trotzdem gelang es ihr nicht, böse auf ihn zu sein. Dawons Trauer über den Tod ihrer Eltern war aufrichtig.
»Ilana war Dawons Freundin. Er hätte für sie da sein sollen, aber Nona meinte, es sei für ihn besser, sich von Menschen fernzuhalten.«
Lin spürte, wie brodelnder Groll gegen Nona in ihr aufstieg. Deshalb war Dawon also nie mehr nach Engil zurückgekehrt. Doch ehe sie ihren Ärger
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