Feuerprinz
den jungen Frauen tat und warum sie nicht mehr zu ihren Sippen zurückkehrten. Die Menschen von Engil hatten Angst. Vor den Stadttoren lauerten die Schjacks, und in der Stadt wurden sie von den Greifen bewacht. Jeder war bemüht, sich möglichst unauffällig zu verhalten und ein Versteck für die Frauen seiner Sippe zu finden, in dem die Greife sie nicht fanden.
Braam stand der Schweiß auf der Stirn, während er darauf wartete, dass Elven endlich etwas sagte. Auch er hatte Angst vor Elven, so große, dass er sich fast in die Beinkleider schiss.
Elven entging seine Unruhe nicht. »Warum habe ich den Eindruck, dass du in letzter Zeit meine Nähe meidest?«
Braam bemühte sich um Haltung und versuchte, selbstbewusst zu klingen. Er ahnte, dass seine Angst Elven misstrauisch machen würde. Also stemmte er die Hände in die Hüften und sah ihm offen in die Augen, als wäre nichts Ungewöhnliches an ElvensVeränderung. Wenn es nur seine Augen gewesen wären … doch tatsächlich ließ Elvens aufgedunsenes Gesicht kaum noch etwas von seiner einstigen Ansehnlichkeit erahnen.
Er gab Braam mit seinem aufgequollenen Finger ein Zeichen, näher zu kommen. Erneut verbarg Braam sein Grauen. Elvens Greife, die um den Thron herumstanden, beäugten ihn. Einer von ihnen trug eine Peitsche aus Silberketten. Er war der neue Anführer, und Braam mochte ihn noch weniger als seinen Vorgäner Jayamon. Seine Blicke waren so … eindringlich. Vor allem die Silberpeitsche des Greifenführers machte ihn misstrauisch. Sie war ein Einzelstück – was ungewöhnlich war. Greife verspürten normalerweise nicht das Bedürfnis, sich in irgendeiner Form von den anderen ihrer Sippe zu unterscheiden oder abzuheben. Sie trugen den gleichen Schmuck, die gleichen Harnische und die gleichen Beinschienen. Doch der neue Greifenführer Suragon schien durchaus ein Interesse daran zu haben.
»Braam? Meidest du meine Nähe?« Elvens Stimme durchtrennte den Faden seiner Gedanken.
Braam zuckte zusammen und wappnete sich zur Verteidigung. »Nein! Ich habe viel damit zu tun, die Vollendung des neuen Tempels zu überwachen.« Er blieb drei Schritte entfernt von Elven stehen, doch noch immer winkte dieser ihn näher heran. Braam überwand sich und konzentrierte sich darauf, nur durch den Mund zu atmen, als sein Gesicht kaum noch eine Handlänge von Elvens entfernt war. Nun konnte er den Verfall deutlich sehen – die gespannte Haut, die zwar an der Oberfläche rosig, aber unter dieser Fassade grünlich aussah, von einem feinen Netz blauer Adern durchzogen – und den Schweiß, der Elven auf der Stirn stand. Braam musste sich beherrschen, nicht zu würgen. Es waren Bluttropfen! Elvens Körper schwitzte das Blut aus, das er den Mädchen aus der geöffneten Kehle saugte. Doch noch viel schlimmerals Elvens Anblick war sein Geruch. Er war süßlich und faulig, so als verwese er bei lebendigem Leib. Braam war sich ganz sicher – dieser Körper war nur eine Hülle, unter der sich etwas viel Schrecklicheres verbarg, und ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
»Braam …« Elvens fauliger Atem streifte seine Nase. Braam hustete, um seinen Würgreiz zu unterdrücken. »… ich kann deine Angst riechen, und du hast allen Grund, mich zu fürchten. Du solltest auf meine Königin achtgeben und hast sie aus Engil entkommen lassen.« Trotz seines aufgeschwemmten Körpers besaß Elven noch immer die Schnelligkeit, die er im Isnalwald gezeigt hatte. Er packte Braams Hand, der meinte, die Hitze von Elvens Haut würde ihm die Hand versengen. Seine Stimme wurde schneidend, und eine dicke blaue Ader trat an seiner Stirn hervor. »Spürst du das, Braam? Dieser Körper zerfällt und verfault, und ich bin darin eingesperrt. Um
ihretwillen
habe ich das auf mich genommen und einen großen Teil meiner Kräfte eingebüßt. Ich will Lin zurück. Dann verschone ich Engil … Doch wenn nicht … « Er sprang von seinem Thronsessel auf und schrie mit einer Stimme wie Gewitterdonner: »… werde ich ein Opferfest veranstalten, das Engil noch nicht gesehen hat!«
Braam stolperte rückwärts und fiel. Er spürte den Aufschlag auf dem harten Steinboden des Thronsaales schmerzhaft in seinem Rücken, konnte seinen Blick jedoch nicht von der zum Platzen gespannten Ader an Elvens Stirn abwenden.
Bitte nicht … lass die faulige Haut über der Ader halten
, betete er, um sich von seiner Angst abzulenken. Die Greife traten geschlossen einen Schritt auf ihn zu. Doch Elven hob die Hand, und sie zogen sich wieder
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