Feuerprinz
Krächzen vor ihr zurückwich.
»Schon gut«, beruhigte sie ihn. »Bist du gekommen, um mich zu Degan zu bringen?«
Vor lauter Freude bildete sie sich ein, dass sein Krächzen ein Ja bedeutete.
Langsam ging sie auf ihn zu, während der Greif unruhig den Kopf hin und her wiegte. Sie durfte nun keinen Fehler machen. Wenn sie sich in seinen Absichten irrte, würde er sie mit seinem Schnabel zerhacken oder mit den Klauen zerreißen. Wer wusste schon, was in den Köpfen solcher Wesen, halb Vogel, halb Raubtier, vor sich ging? Doch der Greif machte keine Anstaltenzu fliehen, was Lin ermutigte, einen Schritt weiterzugehen.
Mit zitternder Hand berührte sie seinen gefiederten Hals und den fellbedeckten Körper. Er fühlte sich warm an, recht angenehm. Dann senkte er seinen Kopf. Es schien ihn Überwindung zu kosten. Lin versuchte ihn zu beruhigen. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin harmlos … Du bist doch viel größer und stärker als ich.«
Dem Greif schien der beruhigende Klang ihrer Stimme zu gefallen. Er senkte seinen Kopf noch tiefer, damit sie ihn kraulen konnte. Lin spürte, dass sie gesiegt hatte. »Bringst du mich zu Degan?«
Er ging in die Knie, was einer Einladung gleichkam. Vorsichtig griff Lin in sein Fell und zog sich auf seinen Rücken. Es war ein eigenartiges Gefühl, rittlings auf dem Rücken eines Greifen zu sitzen. Lin verlor beinahe das Gleichgewicht, als der Greif wie ein Speer mit ihr hinauf in den Himmel stieß.
»Nicht so wild!«, rief sie ihm zu und klammerte sich an sein Rückenfell. Diese Greife waren viel ungezähmter als diejenigen, die in einem menschlichen Körper steckten. Lin spürte die Kraft seiner Muskeln und seine Freude an Flug und Bewegung. Obwohl ihr schwindlig wurde, war es ein einmaliges Gefühl, von ihm durch die Nachtluft getragen zu werden. Der Greif umkreiste den Stamm und die Krone eines Bellockbaumes. Dann stieg er so weit in den Himmel hinauf, dass Lin die Oase unter sich nicht mehr sehen konnte. Erstmals verstand sie, wie groß die Baumriesen tatsächlich waren. Allein die Blätter im oberen Drittel der Bellockbäume waren fast so groß wie sie selbst.
Sie musste sich tief auf seinen Rücken ducken, als der Greif durch das dichte Geäst eines Baumes stieß, damit sie nicht von einem Ast getroffen wurde.
Kurz darauf landete er elegant auf einem der breiten Astarme und ging in die Knie, damit Lin von seinem Rücken herunterklettern konnte. Ihre Bewegungen waren zittrig nach dem wilden Flug, doch der Ast war so breit, dass fünf von ihr darauf Platz gefunden hätten. Lin sah sich vorsichtig um. Es war dunkel, und selbst als ihre Augen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen begannen, konnte sie nicht weiter als eine Armlänge sehen.
»Degan?«, flüsterte sie in die Stille hinein, erhielt jedoch keine Antwort. Sie versuchte es lauter. Von mehreren Seiten kamen verärgertes Krächzen und Rascheln. Erschrocken legte sie die Hände vor den Mund. Anscheinend hatte sie die anderen Greife aufgeweckt, die auf den Ästen schliefen. Sie wandte sich zu ihrem Greif um, der noch immer da wartete, wo er sie abgesetzt hatte. »Wo ist er?«
Er krächzte und senkte den Kopf. Offensichtlich wollte er wieder gekrault werden.
Wundervoll, Lin!
, schimpfte sie stumm mit sich selbst. Dieses arme Wesen hatte gar nicht verstanden, was sie wollte. Vielleicht war es wie ein Hund, der Gefallen an kraulenden Menschenhänden gefunden hatte. Und nun saß sie hier fest und musste ihm für den Rest ihres Lebens den Nacken kraulen. »Degan?« Langsam verwandelte sich ihr mulmiges Gefühl in Panik. Die Greife waren nicht erfreut über den Störenfried in ihren Reihen. Schwingen flappten; einige von ihnen machten sich offenbar bereit, den Eindringling, also sie, zu vertreiben.
Lin tastete sich auf dem breiten Stamm vorwärts. In ihrer Angst stolperte sie und fiel auf die Knie. Doch etwas griff nach ihrem Arm und zog sie hoch … ruppig und unsanft – eine Hand … eine menschliche Hand!
»Degan!«, stieß sie erleichtert hervor und vernahm kurz darauf unwilliges Stöhnen.
»Lin? Was bei Salas heißen Tränen tust du hier?«
Süße Sünde, es war tatsächlich seine Stimme, die sie so lange nicht mehr gehört hatte. Lin schluckte ihren Wortschwall und ihre Glücksgefühle hinunter. Er schien alles andere als begeistert über ihr Wiedersehen. Sie wurde unsicher. »Du hast doch den Greif geschickt, mich zu dir zu bringen.«
»Nein!« Seine empörte Antwort klang abweisend. Lin vernahm
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