Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
nämlich nach und nach alle Mächtigen, die ihnen das Wasser reichen konnten, auszuschalten und auf Nimmerwiedersehen ins Jenseits zu schicken. Doch mit solchen Vermutungen hielt sich Lisandra zurück. Aus den genannten Gründen, als da wären: tote Pfütze im Garten, toter Grindgürtel und so weiter und so fort.
Im Übrigen hatte es Lisandra nur Grohann zu verdanken, dass man sie noch frei herumlaufen ließ. Sie war das ungeliebte fünfte Erdenkind, das man nicht töten konnte, das aber mit jedem tödlichen Angriff, das es überlebte, mehr und mehr zum Monster mutieren würde. So wie Torck, der angeblich tief unter der Festung Sumpfloch in einem Verlies saß, seit ewigen Zeiten, und der seinen Tod schon einige Male zu oft überlebt hatte. Wenn man den Lilienpapieren Glauben schenken wollte, war er als fünftes Erdenkind für den Niedergang von Amuylett verantwortlich. Er trug das Ende dieser Welt in sich und wenn er freikäme, wäre der Untergang Amuyletts besiegelt.
Damit sich der gleiche Schlamassel nicht eines Tages wiederholte, würde Lisandra die Welt, die Gerald gerade erforschte, nie betreten dürfen. Man wollte ja nicht, dass sie deren Untergang beschleunigte, so wie es Torck angeblich mit Amuylett getan hatte. Man wollte auch nicht, dass Lisandra als unsterbliches Ungeheuer die Gegend unsicher machte und so war die Regierung auf die glorreiche Idee gekommen, Lisandra ebenso wie Torck einzusperren und unschädlich zu machen. Und zwar so lange, bis ihre Anwesenheit nicht länger erforderlich wäre. Erforderlich war sie nämlich, da die Talente der anderen vier Erdenkinder nur in Gegenwart des Todes – also des fünften Erdenkindes – zur Vollendung reiften.
Zum Glück hatte Grohann seine eigene Sicht der Dinge. Ob es eine gute oder schlechte Sicht war, wusste niemand so genau, aber in diesem Fall erwies sie sich für Lisandra als Segen. Grohann ließ Lisandra durch Yu Kon ausbilden, schickte sie in eine gefährliche Schlacht, in der sie sich wacker schlug, und führte der Regierung auf diese Weise anschaulich vor, wie nützlich das fünfte Erdenkind doch sein konnte, wenn man es frei herumlaufen ließ. Die Regierung zeigte sich einsichtig und Lisandra wurde nicht eingesperrt – vorerst zumindest.
Von diesem kleinen Lichtblick abgesehen, waren Lisandras Aussichten alles andere als großartig. Die Welt Amuylett lag im Sterben, was ein natürlicher Vorgang war, wie Grohann ihnen erklärt hatte. Nur dass Amuylett eben viel schneller oder jünger starb, als es bei Welten normalerweise der Fall war. Diese Welt siechte dahin und nichts, was die Zauberer der Regierung unternahmen, konnte den Verfall und das Verschwinden der Magikalie aufhalten. Die vier Erdenkinder waren Amuyletts letzte Hoffnung. Sie sollten eine tote Welt wieder zum Leben erwecken und zwar so, wie es in den Lilienpapieren beschrieben worden war. Auf diese Weise könnte zumindest ein Teil der Bevölkerung von Amuylett gerettet werden. Wer zu den Glücklichen gehörte, entkam dem Untergang und würde von einer sterbenden Welt in eine lebendige Welt gehen.
Vor diesem düsteren Hintergrund war es kein Wunder, dass alle Mächtigen dieser Welt, die den geheimen Inhalt der Lilienpapiere kannten oder auch nur erahnten, hinter den Erdenkindern her waren. Niemand würde die Erdenkinder töten, doch jeder wollte sie unter seine Kontrolle bringen, um sich ein Ticket in die neue Welt zu sichern, ebenso wie die Herrschaft über das Reich der Zukunft. Wem die Erdenkinder gehörten, dem würde die neue Welt gehören. So einfach war das. Derjenige, der die Erdenkinder anführte, entschied darüber, wer überlebte und wer starb.
Lisandra würde nicht sterben, weil sie es nicht konnte, immerhin das war geklärt. Aber in die neue Welt durfte sie auch nicht gehen. Die einzige Hoffnung, die ihr blieb, war Amuylett selbst. Sie musste irgendwie verhindern, dass diese Welt wirklich unterging. Es wusste zwar niemand, wie das gehen sollte, und es gab absolut keine Lösung für dieses Problem, doch das sollte Lisandra nicht daran hindern, es trotzdem zu versuchen. Sie würde den Kopf nicht hängen lassen, das hatte sie inzwischen gelernt. Yu Kon hatte ihr beigebracht, sich auf den Augenblick zu konzentrieren und ins Jetzt einzutauchen, statt die Gedanken an eine ferne Zukunft zu verschwenden. Es kam ja doch meistens anders, als man es erwartete. In diesen Sommerferien war es schließlich genauso gewesen.
Im Frühling war Lisandra zu ihrer Ziehmutter nach
Weitere Kostenlose Bücher