Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
gut.“
„Aber was ist es, wenn es kein Engelsdämon ist?“, fragte Thuna.
„Ich habe es nicht selbst gesehen, deswegen kann ich nur vermuten, worum es sich handelt. Ich fürchte, es ist ein Geschöpf, von dem es hieß, dass alle von seiner Art getötet wurden. In einer Schlacht, die vor vielen Zeitaltern stattfand – lange bevor die tote Welt starb, wieder zum Leben erweckt wurde und erneut starb.“
Seit Gerald mit Grohanns Hilfe die tote Welt erforschte, wunderte er sich jeden Tag aufs Neue über den Steinbockmann. So war ihm schon häufiger aufgefallen, dass Grohann von Zeiten wusste und sprach, die weiter zurückreichten als jede offizielle Erinnerung in den Geschichtsbüchern von Amuylett. Vielleicht wusste man solche Dinge als Regierungszauberer, der für den Geheimdienst arbeitete. Sehr viel wahrscheinlicher aber war, dass Grohann sein Wissen aus einer anderen Quelle schöpfte, von der Präsident Mohikan nicht die geringste Ahnung hatte.
„Eine uralte Fehde zwischen Himmel und Erde hinterließ ihre Spuren“, erklärte Grohann. „Kriege fanden statt, die von niemandem gewonnen wurden, sondern nur dazu führten, dass sich die Völker zerstreuten und die reinen Wesen der Vorzeit ihre Unschuld verloren. Das Wesen, das du gesehen hast, Gerald, entstammt diesen Kriegen. Wie es die Zeiten überdauert hat und was es beabsichtigt, das werden wir womöglich nie herausfinden. Es ist kein Engel, doch mit den Engeln verwandt. Ich bezweifle auch, dass es sich um ein einzelnes Wesen handelt. Wahrscheinlich gibt es mehrere von seiner Art in der toten Welt, vielleicht sogar ein ganzes Volk.“
Gerald runzelte die Stirn.
„Das ist nicht gut, oder?“
„Du bist dort unangreifbar, für dich dürften sie keine Gefahr darstellen.“
„Aber ich gehe da jeden Tag hinein, um eine Wunde zu finden und zu schließen“, sagte Gerald. „Was passiert, wenn die Wunde geschlossen ist und man dort drüben wieder atmen kann? Was geschieht, wenn ich Thuna mitnehme? Wäre sie vor diesen Wesen sicher?“
Grohann schaute Thuna an. Mit ihr verband ihn eine besondere Freundschaft, vielleicht weil sie über ähnliche Kräfte verfügten. Sie beide liebten es, in der Natur zu sein und tief in den bösen Wald vorzudringen, der ihnen – und nur ihnen – bereitwillig seine Wunder offenbarte, ohne gefährliche Opfer einzufordern.
Thuna erwiderte Grohanns Blick. Sie wusste, was Grohann sagen würde, bevor er es aussprach, da sie ihn ohne Worte verstand. Er verwendete Faunsprache, eine Sprache, die aus Gefühlen und Bildern bestand. Er hatte Thuna beigebracht, diese Sprache zu sprechen – oder vielmehr: sie in sich zu entdecken. Diese Sprache war schon immer in Thuna gewesen, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. Mittlerweile flogen die Gespräche zwischen Thuna und Grohann schneller hin und her, als es normalerweise dauerte, auch nur ein Wort laut zu sagen. Sie war daher gefasst, als Grohann Geralds Frage kurz und knapp beantwortete:
„Nein“, sagte er, „sie wäre nicht sicher. In keinster Weise.“
Kapitel 3: Die Lieblosen
Von Grohann wusste man im Allgemeinen nicht viel. Hier in Sumpfloch hielt man ihn für einen skrupellosen Geheimdienst-Zauberer, der seine Ziele unbarmherzig verfolgte. Nun ja, das war wahrscheinlich auch zutreffend, doch es gab noch mehr als das zu wissen. So hatte Lisandra im letzten Schuljahr herausgefunden, dass Grohanns verstorbener Großvater ein berühmter Faun namens Amuytan gewesen war. Yu Kon war so verdattert gewesen, als Grohann mit dieser Neuigkeit herausgerückt war, dass der alte Mistkerl Yu Kon doch glatt eines seiner Leben verschusselt hatte, vor lauter Überraschung und Unglauben.
Dummerweise durfte Lisandra nicht herumerzählen, was sie wusste. Grohann hatte es ihr verboten und einem wie Grohann gehorchte man lieber, wenn man nicht als mausetote Pfütze im Schulgarten enden wollte. Diese Lektion hatte Lisandra sehr anschaulich gelernt und im Gedächtnis behalten. Gegen Grohann kam man nicht an, schon gar nicht im Doppelpack mit Hylda, der bösen Cruda.
Auch das war ein Geheimnis, das Lisandra niemandem verraten durfte: Im Winter hatte Grohann heimlich mit der bösen Cruda zusammengearbeitet. Gemeinsam hatten sie Yu Kon erledigt, den mächtigsten Zauberer Amuyletts. Im Halbjahr davor hatte Grohann mal eben so Grindgürtel um die Ecke gebracht, das Oberhaupt der Unbeugsamen Fünf. Es hätte Lisandra nicht verwundert, wenn Grohann und Hylda an einem gemeinsamen Plan festhielten –
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