Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
zu machen. Die Leute spürten es unbewusst: Diesem Mädchen musste man aus dem Weg gehen, sonst riskierte man sein Leben.
Doch Ritter Gangwolf stammte nicht aus Amuylett, sondern war ein Erdenkind, und hatte somit kein Gespür für Scarletts negative Ausstrahlung. Er lachte, als Scarlett mit unsichtbaren Blitzen die Scheiben im Yeti-Saal von Moos Eisli zum Klirren brachte. Würde das Glas gleich aus der Fassung springen? Oder nicht? Ritter Gangwolf machte sich darüber keine Sorgen. Er war reich genug, um dreimal am Tag alle Scheiben von Moos Eisli auswechseln zu lassen.
In diesem Fall war es nicht nötig, denn die Scheiben blieben, wo sie waren, und zersprangen auch nicht. Scarlett hatte in den letzten Jahren gelernt, ihre böse Energie zu kontrollieren. Sie konnte es nicht ändern, dass sie eine böse Cruda war, doch es war ihr möglich, die zerstörerischen Kräfte auf harmlose Weise zu entladen. Sie versuchte außerdem, durch schlechte Wünsche etwas Gutes zu bewirken. Oder wenigstens etwas Unschädliches. Jetzt, da sie vor Wut fast platzte, schickte sie ihre böse Energie in die zahlreichen Kerzen, die im Yeti-Saal herumstanden und in den Leuchtern steckten. All diese Kerzen entzündete sie gleichzeitig und fackelte sie binnen Sekunden ab.
Es wurde auf einmal sehr heiß im Saal, der normalerweise schattig und kühl blieb, selbst an Sommertagen wie diesen. Der ausgestopfte Yeti an der Fensterfront bekam eine Ladung heißes Wachs über den Kopf, ein Unfall, den Scarlett nicht beabsichtigt hatte. Allen Anwesenden trat der Schweiß auf die Stirn, doch Ritter Gangwolf lachte immer noch.
„Sie ist beeindruckend!“, rief er. „Es wundert mich gar nicht, dass Gerald einen Narren an ihr gefressen hat!“
Die Äußerung trug nicht dazu bei, Scarlett zu besänftigen. Ein Donnerschlag, wie ihn keines der heftigen Gewitter in den letzten Wochen hatte hervorbringen können, erschütterte das Schloss und den Berg, auf dem es stand, und selbst Ritter Gangwolf hielt im Lachen inne, um kurz zu lauschen, ob nun alles unter und über ihm einstürzen würde oder nicht.
„Warum?“, fragte Scarlett in die Stille hinein, die dem Donnerschlag folgte. „Seit Wochen, seit über einem Monat ist Gerald in Sumpfloch und niemand sagt mir was? Thuna, Maria und Lissi sind auch dort – aber sie schreiben mir kein Wort davon? Und jetzt – JETZT – wird Ritter Gangwolf auch noch nach Sumpfloch gehen, aber Berry und ich sollen hierbleiben? Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?“
Viego Vandalez nahm es gelassen hin, dass seine Schülerin nicht den Respekt aufbrachte, den man einem geschätzten Lehrer normalerweise zukommen lassen sollte. Sie war eben wütend. Scarletts Launen waren Viego vertraut, das Mädchen war ihm ans Herz gewachsen wie ein eigenes Kind. Diese wilde Person mit den pechschwarzen Haaren, den lebendigen grünen Augen und dem leidenschaftlichen Herzen erinnerte ihn immer wieder an ihn selbst, wie er noch ein Schüler in Sumpfloch gewesen war. Auch von ihm hatte man nur Schlechtes erwartet und wie Scarlett war er fest entschlossen gewesen, der Welt das Gegenteil zu beweisen. Er wollte allen zeigen, dass sein Herz nur ihm alleine gehörte und er der Einzige war, der darüber zu entscheiden hatte, ob er ein gutes oder ein böses Wesen werden würde.
Es hatte keinen Spaß gemacht, als Halbvampir auf eine normale Schule zu gehen. Man misstraute ihm, man beschuldigte ihn, man warf ihn raus und jagte ihn nach Finsterpfahl. Nein, eine Jugend als Halbvampir wünschte Viego niemandem, aber gegen Scarletts Schicksal hatte er es immer noch leicht gehabt. Scarlett trug schwer daran, eine böse Cruda zu sein, und dafür hielt sie sich ganz fabelhaft.
„Es gibt einen Grund“, sagte Viego Vandalez mit ruhiger Stimme. „Wenn du ihn dir anhören möchtest …“
„Zum Teufel mit allen Gründen!“, brüllte Scarlett. „Ich werde mitkommen, egal was ihr sagt!“
Berry lächelte vor sich hin. Sie saß neben Scarlett im Schneidersitz in der Mitte des Saals und beobachtete den Ausbruch ihrer Freundin ohne ein Zeichen von Beunruhigung. Sie kannte Scarlett gut, daher fürchtete sie keinen Schaden. Außerdem war es ihre Art, die Dinge nüchtern und mit einer gewissen Berechnung zu betrachten, um in jedem Moment schnell und effektiv handeln zu können, falls es erforderlich wäre. Als ehemalige Meisterdiebin tickte sie so.
Berrys Instinkt und ihr Verstand verrieten ihr, dass Scarlett so schnell nicht aufgeben würde. Das kam Berry
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