Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
er es ein und gelobt Besserung!“
Maria steckte ein Taschentuch weg, das ihr an diesem Tag wertvolle Dienste geleistet hatte, und stand auf.
„Engel!“, wiederholte sie verwundert. „Die sind doch jetzt wirklich eine Erfindung, oder?“
„Es gab sie mal“, erwiderte Grohann. „Vor langer Zeit. Gerald, du solltest möglichst bald etwas Anständiges essen!“
„Das sollten wir alle!“, erklärte Lisandra mit Nachruck, da sie gerade merkte, wie leer ihr Magen war. Er verlangte laut knurrend nach Nahrung.
„Wenn es wirklich mal Engel gab“, überlegte Maria laut, „gab es dann auch Teufel?“
Grohann beantwortete ihre Frage prompt:
„Etwas Ähnliches, meine Liebe. Mit Hufen und Hörnern. Kannst du dir das vorstellen?“
Maria schaute Grohann aufmerksam an, während Gerald, Thuna und Lisandra zu lachen anfingen. Es war selten, dass Grohann Witze machte, aber das hier war eindeutig einer gewesen!
„Ach, so ist das“, sagte Maria, deren Erstaunen nun auch der Fröhlichkeit wich. „Jetzt wissen wir endlich, woran wir mit Ihnen sind!“
„So ist es, Maria. Mit den Nachkommen der Teufel sollte man sich nicht anlegen, merk dir das!“
„Das müssen Sie den anderen sagen und nicht mir“, erwiderte Maria. „Ich bin so harmlos, ich lege mich mit niemandem an.“
„Dein Wort in Teufels Ohr. Bist du so gut und bringst uns jetzt hier raus?“
Das ließ sich Maria nicht zweimal sagen. Sie führte Grohann und ihre Freunde zu dem verzerrten Spiegel im alten Badezimmer, das sich in einem der ersten Räume hinter dem Treppenhaus befand, und steckte ihre Hand hinein. Das genügte, um den Spiegel durchlässig zu machen, sodass Gerald, Thuna, Lisandra und Grohann hindurchsteigen konnten. Maria schaute durch den Spiegel, um sich davon zu überzeugen, dass Grohann und ihre Freunde heile in Sumpfloch ankamen. Einer nach dem anderen betraten sie den Trophäensaal, der an diesem Sommernachmittag von goldenem Licht durchflutet war.
Bevor Maria den anderen folgte, gönnte sie sich noch ein paar wertvolle Minuten alleine in ihrer Spiegelwelt. Sie setzte sich auf den Rand der altmodischen Badewanne und schaute aus den Fenstern ins Freie.
Sie liebte ihre Spiegelwelt. Doch sie wusste ganz genau, dass dieser Ort nicht nur ihrer eigenen Fantasie entsprungen war. Das Schloss, die kleinen Tiere, der Garten – sie alle mussten ursprünglich einmal zu jemand anderem gehört haben. Vermutlich zu der Prinzessin und späteren Kaiserin des letzten Kinyptischen Reiches.
Diese Prinzessin war ein Erdenkind gewesen, genauso wie Maria. Das hatte Grohann Maria erzählt. Es hieß von der Prinzessin, dass sie geisteskrank gewesen sei. Kurz vor dem Fall des letzten Kinyptischen Reiches war sie von den Regierungstreuen zur Herrscherin erklärt worden, doch ihre Regierungszeit wurde offiziell nie anerkannt. Nach dem Sieg der Rebellen, die die heutige Republik Amuylett gegründet hatten, verschwand sie. Aus Amuylett, aus den meisten Geschichtsbüchern und aus der Welt der Lebenden. Man vermutete, dass sie ermordet worden war, zusammen mit General Kreutz-Fortmann, der der Prinzessin und späteren Kaiserin immer treu ergeben gewesen war.
Marias Geist war aus unerfindlichen Gründen mit diesem Mädchen und seinen Erinnerungen verbunden. Die Tiere im Schloss und das Gespenst von General Kreutz-Fortmann hielten sie jedenfalls für die echte Prinzessin und dienten ihr eifrig. Für Marias Besucher war das lustig anzusehen, doch sie selbst war sich der Gefahr, die damit einherging, bewusst. Sie durfte niemals vergessen, wer sie war. Sie durfte nicht zulassen, dass fremde Stimmen, von denen die Stimme der Prinzessin nur eine war, von ihr Besitz ergriffen. In diesen Tagen, da täglich Gäste in Marias innere Räume kamen, war das nicht so einfach wie früher.
Doch Maria kam zurecht. Sie genoss den Augenblick der Freiheit auf dem Rand der Badewanne, dann riss sie sich los und durchquerte den Spiegel mit dem verzerrten Glas, um den anderen in den Trophäensaal zu folgen. Kaum hatte sich ihre letzte Fingerspitze aus dem Spiegel gelöst, verschwand die Spiegelwelt dahinter. Ohne Marias Anwesenheit war sie für niemanden mehr zugänglich, womöglich existierte sie nicht einmal.
Kapitel 4: Wie keine andere
Scarlett war außer sich. Ihre grünen Augen schossen mit giftigen Blicken um sich und luden den Raum mit der ihr eigenen bösartigen Energie auf, die normalerweise jeden Bewohner von Amuylett dazu trieb, einen großen Bogen um Scarlett
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