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Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Titel: Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halo Summer
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stammen musste, die diese Welt einst besiedelt hatten, sterben musste, damit die Wunde geschlossen wurde!
    „Ich wollte eigentlich nach meiner Tante fragen“, sagte er. „Ich merke, dass sie hier ist. Wissen Sie, was ich meine?“
    „Die junge Frau.“
    „Ja. Sie war eine junge Frau, als sie hierherkam.“
    „Auch eine Zweite.“
    „Das stimmt. Aber sie konnte sich nicht unangreifbar machen. Ihr Körper kehrte nach Amuylett zurück, aber ihre Seele blieb hier.“
    „Bei mir. Ich mach ihr manchmal ein Feuerchen. Das mag sie. Ist ein liebes Ding.“
    Gerald vergaß fast seine Übelkeit vor Staunen. Seine Augen wurden feucht.
    „Wirklich? Sie mag es, wenn Sie ihr ein Feuer anzünden?“
    „Ja, ja. Sie mag so einiges. Manchmal erzähle ich ihr Geschichten. Weiß nicht, ob sie die versteht, aber sie mag Stimmen, die Geschichten erzählen. Ich erzähle ihr von früher. Als diese Welt herrlich war und ein Paradies. Es war eine traumhafte, wunderbare, bezaubernde Welt. Ich hab alles geliebt daran. Jedes Blatt. Jeden Stein. Jeden Sonnenstrahl. Jeden Tropfen Wasser. Ich habe lange gelebt, ich kann der jungen Frau viele, viele Geschichten erzählen. Wenn ich ihr erzähle, wie es war, dann ist es mir, als könnte ich zurückgehen. Zurück in die Zeit, als ich glücklich war.“
    Gerald wusste nicht, was er sagen sollte. Das Glück, von dem sie sprach, war fast greifbar, es schwebte im Raum. Doch es war unerreichbar.
    „Verwandlung“, sagte sie. „Erinnerung. Eines Tages muss ich es tun. Mich verwandeln. Mich vergessen. Ich mag, was du gesagt hast.“
    „Was?“
    „Dass ich mich in ihre Richtung verwandeln könnte. Zu denen hin, die ich vergessen werde, wenn ich sterbe.“
    „Ich weiß nicht, ob es so ist“, gab Gerald ehrlich zu. „Ich hoffe es nur.“
    „Es hilft ja alles nichts“, sagte sie und pustete aus allen Kopflöchern wie eine Dampflokomotive. „Ich muss sterben. Du willst es ja so.“
    „Ich …“
    „Schweig!“
    Er schwieg. Da er nicht sprechen durfte, konnte er nur zusehen, wie sie sich langsam zurückdrehte und -schob in den liegenden Zustand, in dem er sie vorgefunden hatte. All ihre Löcher schlossen sich, ebenso wie die Augen in der Größe von Stecknadelköpfen. Sie lag still und Gerald wusste nicht, ob sie nun schlief oder womöglich schon gestorben war. Erst als das Bett, auf dem sie lag, langsam farbig wurde und sie selbst genau das tat, was sie angekündigt hatte – nämlich sich verwandeln – da wurde ihm klar, dass sie nicht starb, wie andere lebendige Wesen es taten.
    Da war keine Seele, die sie verließ, und kein Körper, der leblos zurückblieb. Sondern ihr Leib, eine unvorstellbar dichte, konzentrierte Substanz, löste sich auf wie ein Salzkristall im Wasser. Langsam, doch beständig, wurde er kleiner und die Welt rund um Gerald bunter: das Bett, die Kissen, die Wände, der Boden, der Teppich, die Stühle – einfach alles – gewann seine Farbe zurück. Mit der Farbe kehrte auch die Lebendigkeit in die Dinge zurück, sie erwachten wie aus einem tausendjährigen Froschröschen-Schlaf.
    Zeit und Atem, Bewegung und Leben durchflossen und tränkten alles, was es in diesem unterirdischen Raum gab, sogar Gerald selbst wurde davon ergriffen. Seine Übelkeit und seine Erschöpfung verschwanden. Der schlechte Geruch verschwand. Das Gefühl, in einer Luftblase zu existieren, inmitten einer tödlichen Welt, verschwand. Leere, Verlassenheit und Traurigkeit, all die trostlosen Gefühle, die Gerald an diesem Ort immer und überall verfolgt und gequält hatten – sie verschwanden.
    Gerald wartete, Stunden vielleicht oder sogar einen ganzen Tag, bis das, was einmal ein fünftes Erdenkind gewesen war, ganz und gar verschwunden war. Die unförmige, hässliche, entstellte Kreatur hatte sich restlos verströmt und alles Körperliche hinter sich gelassen. Sie war zu der Welt geworden, die sie liebte, und hatte dem Tod zurückgegeben, was ihm gehörte. Lange, nachdem das Bett schon leer war, starrte es Gerald immer noch an. Bis er sich endlich aufraffen konnte, unangreifbar zu werden und diesen Ort zu verlassen.
     
    Der Morgen verstrich, ohne dass Gerald wieder auftauchte, und dann vergingen die Mittagsstunden. Maria saß bei Grohann im Treppenhaus, an der Tür zur toten Welt, und fiel zwischendurch in einen unruhigen Schlaf. Als sie wieder aufwachte, war es Nachmittag geworden und von Gerald fehlte jede Spur.
    „Müssen wir uns Sorgen machen?“, fragte sie. „Er wird doch nicht zu weit

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