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Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Titel: Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halo Summer
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mitnehmen will!“
    Abermals pulsierte ihr unförmiger Körper und Gerald musste zugeben, dass sie diesen Körper im Griff hatte. Ihr oberes Ende – um es mal so zu sagen – erhob sich, sodass sie eine sitzende Haltung einnahm. Es war etwas leichter, sie jetzt anzusehen. Ein schneckenartiges Ding, übersät von krustigen Ablagerungen. Der Kopf – ein bizarrer Reptilienschädel mit Löchern und Augen, nicht größer als Stecknadelköpfe.
    „Wir, die Fünften, haben eine tiefe Abneigung gegen das, was man Sterben nennt. Deswegen tun wir’s nicht. Wir sind Kämpfer! Wir sind stark! Jedes Mal, wenn der Tod kommt und uns verwandeln will, kommen wir ihm zuvor. Wir verwandeln uns auf unsere Weise. Wir bleiben wir selbst und trotzen ihm. Mit jedem vergeblichen Versuch, den der Tod unternimmt, werden wir stärker und der Tod schwächer. Wir saugen alle Kraft in uns auf, das Leben einer ganzen Welt! Bis der Tod keine Chance mehr hat. Er kommt irgendwann nicht mehr, er trollt sich und wir bleiben unsterblich.“
    „Ist das der Grund? Ist diese Welt tot, weil Sie es nicht sind?“
    „Woher soll ich das wissen?“
    „Wer soll es denn sonst wissen?“
    Sie schnaufte besonders laut aus den Löchern in ihrem Kopf.
    „Bist noch sehr ungeduldig, junger Mann. Das gibt sich irgendwann.“
    „Es ist wichtig!“
    „Frag mich nicht aus. Es macht mich müde.“
    Ihre Laune verschlechterte sich. Das Wort ‚müde’ hatte sie sehr langgezogen ausgesprochen. Müüüüüüde. Anschließend schwieg sie. Lange, lange, lange. Doch plötzlich, als Gerald schon daran zweifelte, ob sie überhaupt noch mal geneigt sein würde, mit ihm zu sprechen, fragte sie:
    „Willst du was essen?“
    „Nein!“
    „Schade.“
    „Wie finden Sie hier überhaupt etwas zu essen?“
    „Ach, ich finde immer was. Esse es mehrmals. Mache Essen aus mir selbst.“
    Gerald schluckte. Das klang nicht gut!
    „Not macht erfinderisch!“
    „Sieht so aus“, erwiderte Gerald und kämpfte gegen eine weitere Welle von Übelkeit an.
    „Ich seh doch, was du denkst!“, sagte sie in einer veränderten Stimmlage.
    Gerald konnte nicht beurteilen, ob es eine ärgerlich-drohende oder eine munter-fröhliche Stimmlage war.
    „Was denke ich?“, fragte er vorsichtig.
    „Du denkst: Warum will sie leben? Warum will sie das alles? Ich würde sterben wollen, wenn ich sie wäre!“
    Er wusste nicht, was er sagen sollte. Widersprechen wollte er nicht, es zu bestätigen, hielt er für unhöflich und gefährlich.
    „Vielleicht hab ich es bald satt“, sagte sie. „Passiert ja auch nicht mehr viel.“
    Nein, hier passierte ganz sicher nichts. Die Vorstellung, ein ganzes Zeitalter alleine in dieser toten Welt zuzubringen, war für Gerald der reinste Horror.
    „Sind Sie nie einsam?“
    Eine Gliedmaße, von der Gerald noch nichts gewusst hatte, wand sich aus dem massigen Körper und drehte sich spiralförmig Richtung Kopf.
    „Hier drin“, sagte sie, „ist alles, was ich brauche. Meine Erinnerungen. Mein wertvollster Schatz! Die, die ich mal gern mochte, sind da drin. Ich will sie nicht vergessen, verstehst du? Wenn ich mich verwandle, werden sie für immer vergessen sein. Niemand wird sich mehr an sie erinnern. Es wird sein, als hätten sie nie gelebt. Ich halte sie am Leben, indem ich an sie denke und nicht sterbe.“
    „Wirklich?“
    „Ja. Glaube schon. Was denkst du, was mit denen wird, die sterben? Hast du jemanden lieb? Stell dir vor, er stirbt – wie willst du ihn am Leben halten außer mit deinen Gedanken?“
    Gerald glaubte zu verstehen, was sie meinte.
    „Vielleicht verwandelt sich auch die Erinnerung“, sagte er. „Unsere Erinnerung an diejenigen, die wir nicht vergessen wollen. Vielleicht verwandeln wir uns in ihre Richtung, wenn wir sterben. Sodass wir sie wiedersehen. Oder einfach nur bei ihnen sind.“
    „Hm“, sagte sie. „Wär schön.“
    „Ich muss Sie noch etwas fragen“, begann Gerald vorsichtig.
    „Frag mich nicht.“
    „Warum? Sie wissen doch gar nicht, was ich fragen will?“
    „Es geht um mich. Du willst, dass ich sterbe!“
    „Nein, überhaupt nicht! Warum sollte ich?“
    „Weil ich die Wunde bin. Sie schließt sich erst, wenn ich sterbe.“
    Oh. Das war natürlich fatal. Er wollte es nicht sagen, aber es wäre eine dreiste Lüge gewesen zu behaupten, dass er nicht aus diesem einen Grund hier war: Er war gekommen, um die Wunde zu schließen. Aber er hatte nicht gewusst, dass das fünfte Erdenkind, das aus der Generation von Erdenkindern

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