Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
erwartete nichts mehr. Es gab keinen anderen Ausweg, als einzuschlafen, und es war ihr recht. Ja, es ärgerte sie fast, als sie auf einmal Erschütterungen verspürte, ein Beben im Boden, die Schritte einer schweren Person. Es riss sie aus ihrer Schläfrigkeit, die so angenehm zu ertragen war, im Gegensatz zu der Angst und der Verzweiflung, die sie zuvor empfunden hatte. Doch es half nichts, Maria konnte jetzt nicht wegdämmern, sondern musste aufmerksam in den Spiegel sehen, in dem etwas geschah:
Mandelia drehte sich um und schaute hinter sich zur Tür, durch die ein Mann trat. Ein großer, bärtiger Mann, doch jung und gut aussehend. Er trug dieselbe altmodische Kleidung wie sie. Er sagte etwas, Mandelia antwortete ihm, doch Maria konnte nicht hören oder verstehen, was es war. Sie konnte nur sehen, wie der Mann und die Frau einander in die Arme fielen, als hätten sie sich Jahrtausende lang vermisst. In diesem Augenblick vergaß Maria ihre Not und starrte nur das Paar an, das sich im Spiegel küsste. In diesem Kuss schien sich alles zu erfüllen, wovon ein Mensch nur träumen konnte.
Mehr aus Neugier und weil sie so ergriffen war, berührten Marias Fingerspitzen den Spiegel. Er war durchlässig. Sie konnte hineingreifen. Ihr Gesicht folgte ihrer Hand und sie sah, dass es auf der anderen Seite des Spiegels dunkel war. So dunkel wie hinter zwei geschlossenen Augen. Wenn sie diese beiden Augen nun öffnen könnte … wäre sie dann frei?
Als die blaue Flamme erlosch, war es Gerald, als müsste er selbst sterben. Er hatte das alles nicht getan, um zu sehen, wie diese Flamme ausging und verschwand! Er hatte in keinem einzigen Moment seiner zweifelhaften Unternehmung geglaubt, dass sie mit Marias Tod enden würde. Darum konnte er es gar nicht fassen, als die Flamme erlosch. Eine eiskalte Hand umschloss im gleichen Moment sein Herz und er wusste, wenn es erst mal gefroren wäre, würde es in tausend Stücke zerspringen und nie wieder ganz werden.
Es war aber nur der kürzeste aller Augenblicke, in dem er diese Gefühle durchleiden musste. Ein Aussetzer in der Zeit. Eine unerträgliche, qualvolle Lücke zwischen Leben und Tod, in der alles passieren konnte. Dann, nur einen Moment später, flammte ein warmes, goldenes Licht auf, wie aus dem Nichts, stark und lebendig, gleich einem Lebenslicht an seinem allerersten Tag.
Gerald schaute von der Flamme zu Maria. Torck hatte sich leicht aufgerichtet, seine Riesenhände umschlossen immer noch ihr Gesicht, doch ihre Augen waren unbedeckt. Als Gerald näher herantrat, sah er, dass ihre Augenlider zitterten. Sie kämpfte. Sie wollte die Augen öffnen.
Es war nur eine Frage der Zeit. Maria war wach und sie war willensstark. Schließlich und endlich gingen ihre Augen auf und was sie in dem Moment sah, hätte sie eigentlich dazu veranlassen müssen, laut loszuschreien. Torcks Gesicht, zehn Zentimeter von dem eigenen entfernt, hätte selbst den tapfersten Helden zu Tode erschreckt, wenn er nicht damit rechnete. Aber Maria schrie nicht. Sie starrte Torck an, blinzelte einmal mit den Augen und sagte mit fast unhörbarer Stimme:
„Danke.“
Das Monster namens Torck schien gerührt zu sein. Es streichelte Maria mit seiner gefährlichen Hand ganz vorsichtig übers Haar und setzte sich gerade auf. Gerald trat unwillkürlich einen großen Schritt zurück, denn Torck sah nach wie vor sehr gefährlich aus.
Der Mann, der in den Legenden von Amuylett als gewalttätiger Gewittergott bekannt war, saß auf der Bettkante und schien nicht recht zu wissen, was er jetzt mit sich anfangen sollte. Er überlegte eine Weile und plötzlich, völlig unerwartet für alle Anwesenden, verwandelte er sich in einen recht unscheinbaren Vogel und flog nach einem Sprung auf die Fensterbank durch das geöffnete Fenster davon.
Marias Blick folgte ihm und traf dabei, verschwindend kurz, auf Geralds Blick. Er glaubte, dass sie ihn erkannte. Ihre Lippen bewegten sich andeutungsweise, ohne dass ihre Stimme zu hören war. Dann fielen ihr die Augen wieder zu. Sie war erschöpft, verständlicherweise.
Gerald fühlte sich grauenvoll. Ausgelaugt, abgekämpft, vollkommen ermattet. Er drehte sich nach Grohann um, von dem er wusste, dass er hinter ihm stand, und fragte:
„Kann ich mich jetzt ausruhen oder werde ich sofort verhaftet?“
„Von mir wirst du nicht verhaftet, Gerald“, sagte Grohann. „Du musstest dich zwischen zwei Übeln entscheiden. Ich habe keine Ahnung, ob du dich richtig entschieden
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