Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Menschen wimmelte, lag daran, dass die Maküle das Stockwerk sicherten und niemanden hereinließen, der hier nicht hergehörte. Sie sahen Grohann fragend an, als Torck sich ihren Posten näherte, und der sagte mit Grabesstimme:
„Lasst sie passieren.“
Torck hatte es nicht nötig, dass Gerald ihm den Weg zeigte. Er hatte Mandelia längst vernommen, er wusste, wo er nach ihrer Stimme suchen musste. Er riss alles Mögliche um, als er in die Krankenstation trat – er war einfach zu groß und zu ungelenk für all das Zeug, das hier herumstand. Als er Marias Krankenbett erreichte, wurde er vorsichtig. Er näherte sich langsam und passte auf, wo seine riesigen Krallenfüße hintraten.
Maria lag regungslos und unverändert auf ihrem Krankenbett. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Festung bebte, und sie wusste auch nichts von dem Monster, das an ihrem Bett stand und sich nun langsam über sie beugte. Es macht Gerald ordentlich nervös, als Torck seine verhornten, mit Krallen und Stacheln ausgestatteten Prankenhände um Marias Kopf legte, sodass dieser fast ganz darin verschwand. Torck hätte sie ohne Anstrengung mit der kleinsten Bewegung zerquetschen können. Gerald glaubte nicht, dass er das tun würde, aber ihm blieb trotzdem das Herz stehen vor Angst.
Die Flamme an der Wand flackerte blau. Der Kauz im Garten hatte aufgehört zu rufen, ein Hauch von Morgenluft wehte durchs Zimmer. Torck hielt Marias Kopf umschlossen und bewegte sich nicht. Es geschah gar nichts, die Welt hielt den Atem an, bis die blaue Flamme plötzlich zitterte. Sie zitterte, wurde kurz groß, dann wieder klein und … verschwand. Marias Lebenslicht – es war erloschen.
Kapitel 27: Entkommen
Marias schlimmster Alptraum hatte sich in eine ausweglose Wirklichkeit verwandelt: Sie war eingesperrt und konnte ihre Spiegelwelt nicht mehr verlassen. Niemand war bei ihr, niemand konnte sie erreichen. Sie war allein. Vollkommen allein.
Obwohl sie genau wusste, dass es so war, lief sie doch zu jedem einzelnen Spiegel, den sie kannte, und fasste ihn an. Sie hoffte jedes Mal, dass das Glas durchlässig werden und sie nach draußen lassen würde. Doch die Spiegel waren und blieben das, was sie gemeinhin sind: nämlich glatt, fest, hart und kalt.
Da die Türen im Treppenhaus nicht mehr existierten und Maria schon viel zu lange vergeblich in den Räumen ihres Schlosses herumgeirrt war, beschloss sie irgendwann, im alten Sumpfloch nach einem Ausgang zu suchen. Diese Mission war zum Scheitern verurteilt, das war ihr klar. Dennoch verbrachte sie eine Zeit, die sich wie Jahre anfühlte, mit Suchen. Bis sie aufgab, weil sie nicht mehr konnte. Es endete damit, dass sie in dem großen Raum sitzen blieb, in dessen Spiegel sie Mandelia erblickte.
Im ersten Moment hatte sie gehofft, Mandelias Erscheinung könnte sie retten. Doch auch dieser Spiegel war und blieb undurchdringlich. Er zeigte nicht mal Marias Spiegelbild. Er zeigte ihr nur Mandelia, die unablässig dasselbe tat und sagte. Maria konnte nicht verstehen, was Mandelia sagte, glaubte aber irgendwann, den Namen ‚Torck’ an Mandelias Lippen ablesen zu können. ‚Torck’ und immer wieder ‚Torck’.
Maria verstand, dass Mandelia sehnsüchtig war. Wenn man alleine eingeschlossen ist, ohne Hoffnung, jemals wieder das Licht der echten Welt zu sehen, dann wünscht man sich diejenigen herbei, die man liebt. In Marias Fall waren das ihre Freundinnen, Rackiné, ihre Eltern und sogar solche Leute wie Grohann oder Estephaga Glazard. Sie vermisste sie alle. Natürlich – und vor allem – vermisste sie Gerald.
Doch sie würde ihm das niemals antun wollen, hier mit ihr eingesperrt zu sein, und so war es gut, dass er nicht hier war. Mit Gerald konnte es für Maria sowieso kein glückliches Ende geben. Es war ein aussichtsloses Märchen und darum war es nur schlüssig und nicht weiter tragisch, wenn sie verschwand. Denn genau das würde sie tun, wenn sie noch länger hier saß.
Sie würde anfangen, sich selbst zu vergessen, und sobald sie es getan hätte, würde es keine Maria, keine Spiegelwelt und keine Sehnsucht mehr geben. Ein Gedanke, der sich wirklich traurig anfühlte, was aber nichts daran änderte, dass es begann. Sie war schon dabei zu verblassen und aufzuhören. Sie bekam es fast gar nicht mehr mit.
Vermutlich zum hunderttausendsten Mal sagte Mandelia im Spiegel ‚Torck!’, ohne dass Maria ihre Stimme hörte. Maria war schläfrig geworden. Sie war kurz davor, für immer einzuschlafen. Sie
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