Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
bedenkt, was das arme Kind alles mitgemacht hat!“
Lisandra zweifelte an ihrem Verstand, als sie das hörte.
„Niemand von denen würde uns glauben, dass wir durch die Hölle gegangen sind!“
„Haben wir etwas falsch gemacht?“, fragte Berry. „Haben wir uns schlecht benommen und nicht sie?“
„Nein“, sagte Thuna entschieden. „Das Mädchen ist nur noch viel raffinierter, als wir dachten. Ich hoffe, sie wird niemals Präsidentin.“
Das war allerdings eine Vorstellung, die alle zum Lachen brachte.
In Sumpfloch hatte es wahrscheinlich noch nie eine solche Festtafel gegeben. Die Tische bogen sich unter Bergen von delikaten Speisen und das Porzellan und Kristall, das aufgedeckt wurde – von den edlen Tischtüchern ganz zu schweigen – war so vornehm, dass man sich dagegen wie eine Küchenschabe vorkam. So formulierte es Lisandra, die sich in diesem ganzen noblen Staatstheater fehl am Platze vorkam. Das war nicht ihre Welt. Gut, das Essen schmeckte, aber ansonsten wollte sie doch lieber etwas tun, statt stundenlang herumzusitzen und höflich zu reden.
Mungo Bartok machte viel Aufhebens um die Erdenkinder. Er wollte ihnen allen die Hand schütteln und bat Grohann darum, sie ihm persönlich vorzustellen. Bei Ritter Gangwolf war das nicht möglich, da er verreist war, doch die anderen vier gaben sich die Ehre.
„Dich kenne ich, du bist der tapfere Ordensträger“, sagte Mungo Bartok, als er Gerald die Hand schüttelte. „Solche Männer wie dich braucht das Land. Weiter so!“
Thuna kam als Nächstes an die Reihe. Sie schenkte dem neuen Präsidenten ein höfliches Lächeln, das dieser ebenso höflich erwiderte.
„Unsere Fee! Ich fühle mich sehr geehrt. Was für eine bezaubernde, junge Dame!“
Lisandra brachte kein Lächeln zustande, sie starrte den Präsidenten nur unverhohlen neugierig und prüfend an, sodass er sich sichtlich unwohl fühlte.
„Eine hervorragende Kämpferin, wie ich hörte“, sagte er. „Schön, schön.“
Maria war die Letzte in der Reihe und da Grohann sie der Regierung als neuen Otemplos verkauft hatte (und damit als göttliche Titanin eines neuen paradiesischen Anbeginns), überschlug sich Mungo Bartok fast vor Höflichkeit, Begeisterung und Ehrerbietung. Dazu trug sicher auch Marias Aufmachung bei. Sie war im Grunde die Einzige der Freundinnen, die in diesen Rahmen passte und sich entsprechend zu verhalten wusste, was aber nicht bedeutete, dass ihr das zusagte.
Wie wenig es ihr tatsächlich zusagte, zeigte sich, als Mungo Bartok sie dazu einlud, beim Festessen an seiner Seite zu sitzen, und sie, als hätte sie ihn überhaupt nicht gehört, einfach wegging, um sich an das andere Ende der Tafel zu setzen. Das Erstaunliche daran war, dass alle Leute im Saal glaubten, Maria habe den Präsidenten wirklich nicht gehört oder verstanden. Und zwar deswegen, weil sie so bescheiden war, dass sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass jemand so Wichtiges wie der Präsident auf die Idee kommen könnte, sie an seinem Tisch haben zu wollen.
Der Präsident hob lachend seine Schultern und wandte sich einem anderen Gesprächspartner zu, während Gerald und Thuna wissende Blicke austauschten. Ihnen war klar, dass das ach so bescheidene Mädchen keine Lust hatte, neben dem Präsidenten zu sitzen. Und dass Maria über Mittel und Wege verfügte, ihren Willen durchzusetzen, ohne dass es jemandem auffiel. Sie beeinflusste die Wahrnehmung der Leute. Nie hatte es Gerald deutlicher gesehen als an diesem Abend.
„So macht sie es auch mit ihren Eltern“, sagte Thuna zu Gerald. „Es klappt nicht immer, denn ihre Eltern sind sehr hartnäckig. Aber in acht von zehn Fällen lässt sie sie ins Leere laufen und sie merken es nicht einmal. Am Anfang habe ich mich immer gefragt, warum ich alles abbekomme und sie fast gar nichts. Mittlerweile habe ich es begriffen.“
„Ich wünschte, ich könnte es genauso machen, denn ich soll gegenüber von Mungo Bartok sitzen.“
„Da musst du wohl durch. Du hast einen Orden für Tapferkeit bekommen, jetzt zeig mal, dass du ihn verdient hast!“
Es wurde aber gar nicht so langweilig, wie Gerald sich das vorgestellt hatte, denn auch Hanns von Fortinbrack war an Mungo Bartoks Tisch geladen worden. Der hilfsbereite, kluge und gar nicht furchteinflößende Herrscher eines abtrünnigen Reiches eroberte stotternd und im Eiltempo die Herzen und das Vertrauen des neuen Präsidenten und seiner Begleiter, was überaus interessant zu beobachten
Weitere Kostenlose Bücher