Feuerscherben
Evelyn merkte, dass sie schwanger war, erfuhr Douglas, dass er an Leukämie litt. Anfang der siebziger Jahre waren die Heilungsaussichten bei Leukämie längst nicht so gut wie heute. Es war abzusehen, dass Douglas nicht mehr lange zu leben hatte. Meine Großmutter sagte, alle wären der Ansicht gewesen, dass Evelyn lieber mit Andrew verheiratet bleiben sollte.«
»Und sie erwarteten, dass Andrew die Situation hinnehmen würde?«, fragte Ben verblüfft. »Seine Frau setzt ihm mit seinem jüngeren Bruder Hörner auf, und er lächelt einfach dazu und erkennt das Baby aus dieser Affäre als sein eigenes an?« Zu spät wurde ihm klar, dass seine Bemerkung nicht besonders taktvoll war angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Baby um Claire gehandelt hatte.
»Das hatte ich auch nie verstanden«, gab sie zu und schlang die Arme um die Taille, denn sie fröstelte plötzlich. »Doch ich glaube, jetzt weiß ich endlich, was passiert ist.«
»Wieso?«
Claire blickte auf die Reihe mit ihren Kristallschalen. »Ich habe erst kürzlich von Andrews Affäre mit Leutnant Edgar erfahren. Das erklärt eine Menge.«
»Glaubst du? Ja, ich verstehe, was du meinst.« Ben sprach seine Gedanken laut aus. »Andrew kommt voller Schuldgefühle wegen des tragischen Endes seiner Affäre mit Jordan Edgar nach Hause. Gleichzeitig hat deine Mutter ein entsetzlich schlechtes Gewissen wegen ihrer Beziehung mit Douglas. Die beiden schließen einen Pakt. Sie vergibt ihm die Sache mit Jordan, wenn er ihr das Verhältnis mit Douglas verzeiht. Jordan ist tot, Douglas wird bald sterben. Die beiden Überlebenden brauchen sich gegenseitig als Stütze.«
»Ja, so ähnlich muss es gewesen sein«, sagte Claire so sachlich wie möglich. »Vor allem brauchten sie auf diese Weise keine schmutzige Wäsche zu waschen. Allerdings gab es eine unbedeutende Kleinigkeit: Ich wurde zehn Monate nach Andrews Abreise in die Subic Bay geboren. Nach meiner Geburtsurkunde zu schließen, wog ich knapp sechs Pfund. Das ist nicht gerade das Gewicht eines kräftigen Babys aus einer zu langen Schwangerschaft,«
Ben zuckte die Schultern. »Ich glaube kaum, dass Evelyn oder Andrew sich darüber Gedanken zu machen brauchten. Viele erstgeborene Babys kommen verspätet auf die Welt. Außerdem war Evelyn sehr schlank. Weshalb hättest du ein großes Baby sein sollen? Die Leute tuscheln bei frühen Geburten, nicht bei späten. Wärst du sechs Monate nach der Hochzeit auf die Welt gekommen, hätte es sicher einige heimliche Bemerkungen gegeben, vor allem angesichts der Kreise, in denen Evelyn verkehrte. Deine Eltern waren gerade von längeren Flitterwochen aus Europa zurückgekehrt, als Andrew zu den Philippinen aufbrach. Was hätte natürlicher sein können, als dass Evelyn nach der Reise schwanger war?«
»Offensichtlich hast du Recht«, stimmte Claire ihm zu. »Soweit ich weiß, hat es nie irgendwelche Gerüchte wegen meines Geburtsdatums gegeben. Evelyns Ruf blieb rein wie frisch gefallener Schnee.«
Ben hatte das Gefühl, dass sich das Mosaik Steinchen für Steinchen zusammensetzte und er dem Geheimnis langsam auf die Spur kam. »Damit wäre also alles erklärt. Außer dem Problem, mit dem wir unsere Unterhaltung begonnen haben«, stellte er fest.
Claire sah ihn verblüfft an. »Welches Problem?«
»Weshalb glaubst du, dass Andrew dich umbringen will?« Seine Frage traf sie wie ein Schlag in dem stillen Raum, und sie zuckte heftig zusammen. Ben ging zu ihr, fasste ihre Hände und drückte sie, damit Claire die Dinge einmal von seinem Standpunkt betrachtete.
»Absolut nichts von dem, was du bisher erzählt hast, lasst darauf schließen, weshalb Andrew sich an deinem achtzehnter Geburtstag plötzlich in einen mordlustigen Verrückten hätte verwandeln sollen. Im Gegenteil. Er muss vom ersten Tag an gewusst haben, dass du nicht sein leibliches Kind bist. Du sagtest vorhin, du hättest ihn einmal geliebt … Heißt das nicht, dass er dich gut behandelt hat? Dass du gern mit ihm zusammen warst? Weshalb hätte es achtzehn Jahre dauern sollen, bis er deinen Anblick nicht mehr ertragen konnte?«
»Es ging um Geld«, erklärte Claire gepresst. »Douglas hinterließ mir seine Anteile an der Firma sowie etliche Millionen Dollar, die in einen Treuhandfonds eingezahlt wurden. Andrew war der einzige Bevollmächtigte. An meinem achtzehnten Geburtstag verlor er die alleinige Kontrolle über mein Vermögen, denn nach den Statuten des Fonds musste ich an allen Entscheidungen beteiligt
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