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Feuerscherben

Feuerscherben

Titel: Feuerscherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmine Cresswell
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problemlos verlaufen wie die mit Bainbridge. Unsicher sah sie sich in dem Zimmer um und bemerkte einen kleinen Tisch, der mit weißem Damast gedeckt war. Sofort besserte sich ihre Laune.
    »Das sieht verheißungsvoll aus«, sagte sie. »Was gibt es um elf, Bainbridge? Ich hoffe, es ist eine Ihrer Spezialitäten.«
    Der Butler hatte mehrere britische Sitten in der Küche eingeführt, so auch die Tradition, Punkt elf Uhr Milchkaffee mit importierten britischen Keksen zu servieren. Zu Claires glücklichsten Kindheitserinnerungen gehörte die halbe Stunde auf einem Küchenhocker, wo sie Bainbridges Geschichten lauschte, schottisches Mürbeteiggebäck kaute und Kaffee trank, der beinahe ausschließlich aus heißer Milch bestand.
    »Es wäre möglich, dass ich einige Marmeladentörtchen auftreibe«, antwortete Bainbridge, und Claire lächelte unwillkürlich. Wenn Sie schön artig sind, schien die Bedingung wie in ihrer Kindheit zu lauten.
    »Mein Lieblingskuchen«, sagte sie leise. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen. »Danke«, fügte sie hinzu.
    »Wofür?«
    »Dass Sie so nett sind und mich zu Hause willkommen heißen.«
    Bainbridge schien einen Moment geschmeichelt zu sein, dann runzelte er die Stirn und sah sie mit strenger Miene an. »Sie hätten nicht einfach verschwinden sollen«, schalt er. »Ganz: gleich, was da oben in Vermont passiert ist, Sie hätten Ihre Mutter wissen lassen müssen, dass Sie am Leben waren.« Claire merkte, dass es Bainbridge bitter ernst war. Was sollte sie sagen? Dass sie sich verborgen hatte, weil sie fürchtete, ihr angeblicher Vater könnte sie umbringen? Dass sie immer noch Angst um ihr Leben hatte, weil es viel einfacher für Andrew Campbell wurde, einen neuen Unfall zu inszenieren, je näher sie ihm kam? Nein, mit solchen schrecklichen Bemerkungen durfte sie Bainbridge nicht belasten.
    Sie hob eine silberne Zuckerzange auf und legte sie vorsichtig in die Queen-Anne-Schale zurück, die mit hellbraunem Würfelzucker gefüllt war. »Ich wäre früher zurückgekehrt, wenn ich gekonnt hätte«, sagte sie endlich. »Glauben Sie mir, Bainbridge, ich hatte nicht so lange wegbleiben wollen.«
    »Nun, lieber spät als nie, heißt es wohl«, meinte der Butler barsch. »Aber laufen Sie ja nicht noch einmal weg, ohne Ihrer Mutter zu sagen, wohin Sie gehen. Das ist ein Befehl!«
    Er schwieg plötzlich, riss sich zusammen und nahm seine vertraute würdige Haltung wieder an. »Ich höre Mrs. Campbell die Treppe herunterkommen, Miss. Ich bin gleich mit dem Elf-Uhr-Imbiss zurück.«
    Bainbridge mochte zwar über siebzig sein, aber sein Gehör war ausgezeichnet. Claire musste sich anstrengen, um die Schritte zu hören. Im oberen Stock des Penthouses lag Evelyns Boudoir. Eine andere Bezeichnung fiel Claire nicht dafür ein. Dort hatte Evelyn sich früher meistens aufgehalten. Was hatte sie dort gemacht? Diese Frage stellte Claire sich heute zum ersten Mal.
    Leichtfüßig kam Evelyn über den Marmorboden der Diele näher. Claire hielt instinktiv die Luft an, und der Knoten in ihrem Hals wurde so groß, dass sie Angst hatte, zu ersticken.
    Für eine winzige Sekunde hielten die Schritte inne, und es wurde totenstill. Dann überquerte Evelyn die Schwelle und blieb an der Tür stehen. In ihrem hellblauen Leinenkostüm und den dunkelblauen Lederaccessoirs wirkte sie äußerst kühl. Sie lächelte höflich und zurückhaltend. »Hallo, Claire. Willkommen zu Hause.«
    »Hallo, Mutter.« Claire konnte sich nicht rühren. Ihre Haut wurde erst glühend heiß und dann eiskalt. Sie wollte ihrer Mutter so viel sagen, aber sie bekam keinen Ton heraus. Ihr Hals war so trocken, dass sie nicht sicher war, ob sie je wieder sprechen konnte. Es war zum Verzweifeln. Bainbridge, der alle Welt mit seinen altmodischen Butlermanieren einschüchterte, hatte sie spontan umarmen können. Weshalb in aller Welt brachte sie es nicht fertig, die wenigen Schritte über den Teppich zu gehen und ihre Mutter herzlich zu begrüßen?
    Langsam betrat Evelyn das Wohnzimmer. Nicht viele Frauen um die Fünfzig würden sich derart der hellen Morgensonne aussetzen, dachte Claire. Doch Evelyns klassisches Profil glich die winzigen Fältchen aus, die sich um ihre Augen gebildet hatten. Auch die Stirn war nicht mehr ganz faltenlos. Aus einem merkwürdigen Grund freute sich Claire plötzlich, dass die Mutter ihr Gesicht nicht liften hatte lassen, um die ersten natürlichen Spuren des Alters zu verbergen.
    Natürlich sprach sie es nicht laut aus.

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