Feuerscherben
Andrew weggelaufen bin, vor ihrem Mann.
Sie nahm eine Kuchengabel und schob die Krumen nervös auf dem Teller hin und her. Es ist an der Zeit, das Lügengebäude, das Evelyn zu meinem Schutz aufgebaut hat und das mich beinahe getötet hätte, zum Einsturz zu bringen, beschloss sie. Täuschung hat mein Leben nicht sicherer gemacht. Vielleicht versuche ich es einmal mit der Wahrheit. Sie strich ihre Serviette glatt und legte sie sorgfältig neben ihren Teller. »Das ist ziemlich kompliziert.«
»Fang am Anfang an, und erzähl eines nach dem anderen«, schlug Evelyn vor. »Wir haben den ganzen Tag Zeit.«
Claire holte tief Luft. »Großmutter hat mir gesagt, wer mein richtiger Vater ist«, begann sie. »Sie hat mir von Douglas und dir erzählt. Dass ihr beide ein Verhältnis hattet und ich das Ergebnis dieser Beziehung bin.«
Heftige Röte überzog Evelyns Wangen. »Verstehe«, sagte sie. »Ich habe mich oft gefragt, ob deine Großmutter es dir verraten hat. Jetzt weiß ich es endlich.« Sie faltete ihre Serviette zu einem sauberen Rechteck. »Andrew und ich hatten dir die Wahrheit nach deinem achtzehnten Geburtstag sagen wollen. Aus den bekannten Gründen kam es nicht mehr dazu.« Claire antwortete nicht, sondern starrte stumm auf ihren Teller.
Evelyn seufzte leise. »Könntest du uns leichter verzeihen, wenn ich dir versichere, dass Douglas und ich uns so geliebt haben, dass die normalen Verhaltensregeln für uns nicht zu gehen schienen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Claire betrübt. »Behaupten das nicht alle Ehebrecher? Dass die normalen Verhaltens regeln für sie nicht gelten?«
Evelyns Röte verschwand, und sie wurde bleich. »Ich fürchte, du hast Recht. Ich kann zu meiner Rechtfertigung nur sagen, dass ich sehr jung und sehr naiv war und Douglas zu jenen Männern gehörte, die einem nur einmal im Leben begegnen. Die Erziehung hatte mich auf solch eine Situation nicht vorbereitet. Meine Eltern gehörten einer Klasse und einer Generation an, die allen Ernstes glaubte, anständige Frauen empfänden keine sexuelle Lust.«
Einen Moment funkelten ihre Augen spöttisch.
»Douglas weckte Gefühle in mir, die weit über das hinausgingen, was ich angeblich zu erwarten hatte. Auch über das, wovon ich je gelesen oder geträumt hatte. Deshalb musste ich meine eigenen Regeln dafür aufstellen. Kein Wunder, dass ich scheiterte.«
Aus einem merkwürdigen Grund musste Claire plötzlich an Ben denken. Doch sie verdrängte den Gedanken energisch. Die Kuchenkrümel flogen auf das Tischtuch, und sie sammelte sie einzeln auf und tat sie auf den Teller zurück. Endlich räusperte sie sich.
»Du hattest ein Versprechen abgelegt, als du Andrew heiratetest. Und er war weit weg und verteidigte sein Land, als euer Verhältnis begann. Bedeutete das Ehegelöbnis dir gar nichts? Und wie stand Douglas dazu? Immerhin war Andrew sein Bruder.«
Weshalb in aller Welt interessiert mich, was Evelyn dieses Gelöbnis bedeutete, überlegte sie verwundert. »Natürlich war mir mein Ehegelöbnis nicht gleichgültig«, antwortete ihre Mutter. »Aber während unserer Flitterwochen hatte Andrew mit erzählt … « Abrupt hielt sie inne. »Manchmal ist das Leben nicht so moralisch, wie man es uns als Kinder beibringt. Ich habe nie bedauert, dass du geboren wurdest oder dass ich Douglas geliebt habe. Nicht einmal, dass wir unserer Leidenschaft nachgegeben haben und ein Verhältnis hatten.« Sie lächelte versonnen, und ihr Blick wurde weich. »Du bist ihm sehr ähnlich, Claire. In vielerlei Beziehung.«
Claire schlug die Augen nieder, denn sie wollte das Flehen in den Augen ihrer Mutter nicht sehen. Sie wusste, dass sie die Liebe ihres Vaters zur Arbeit mit Glas geerbt hatte. Ob sie auch andere, weniger begehrenswerte Eigenschaften von ihm besaß? Zum Beispiel das Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen? Die melodramatische Neigung? Sie schob die Pastetenkrümel in der Mitte des Tellers zusammen.
Evelyn seufzte leise. »Als Douglas erfuhr, dass er an Leukämie sterben würde, warst du die größte Freude seines Lebens. Die Tatsache, dass es dich gab und du solch ein glückliches gesundes Kind warst, machte ihm das eigene Leid erträglicher.« Ihre Stimme wurde rau. »Dein Vater war ein bemerkenswerter Mann, Claire. Ich wünschte, du hättest ihn kennenlernen können.«
Claire hatte immer gewusst, dass es schwierig sein würde, mit der Mutter über ihre außereheliche Abstammung zu sprechen. Doch sie hatte nicht geahnt, wie peinlich ihr das
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