Feuerscherben
hatte dir nicht wehtun wollen.«
»Zumindest bist du wieder da.« Evelyn lachte leise. Es klang beinahe mädchenhaft in ihrer Erleichterung. »O Claire, ich weiß, es ist albern. Aber ich möchte dich am liebsten kneifen, um sicher zu sein, dass ich nicht träume.«
»Du brauchst mich nicht zu kneifen«, antwortete Claire. »Ich bin wirklich hier.«
»Ja, das bist du. Und ich bin so glücklich. Da kommt Bainbridge auf die Sekunde genau mit dem Elf-Uhr-Imbiss.« Mit kurzen energischen Schritten ging Evelyn zu dem kleinen Tisch hinüber. »Hm, das duftet köstlich«, sagte sie zu dem Butler.
»Ihr Vormittagskaffee und einige Marmeladentörtchen. Ich hoffe, beides ist nach Ihrem Geschmack.« Bainbridge war ganz in seine Rolle eines treuen Butlers des neunzehnten Jahrhunderts zurückgeschlüpft. Evelyn lächelte ihm wie einem alten Freund zu.
»Ich bin sicher, dass sie ausgezeichnet schmecken, Bainbridge. Wie immer.«
»Danke, Madam.« Der Butler verbeugte sich leicht. »Ich überlasse es Ihnen, sich mit dem Kaffee zu bedienen.«
Claire lachte leise. Sie war so glücklich, dass sie sich keine Mühe gab, ihre Zunge im Zaun zu halten. »O Bainbridge, Sie sind solch ein Schauspieler. Wüsste ich es nicht besser, würde ich schwören, Sie hätten dieses Gehabe eines getreuen Familienfaktotums aus alten Filmen mit Charles Boyer gelernt.«
Evelyn und der Butler wechselten einen raschen Blick. Dann lächelte Bainbridge höflich und reichte Claire eine Tasse aus Limoges-Porzellan, dem Lieblingsservice ihrer Mutter. »Charles Boyer war Franzose, Miss. Ich glaube kaum, dass er jemals einen Butler gespielt hat. Gewiss keinen englischen Butler. Dazu wäre er gar nicht in der Lage gewesen.« Mit einem Nicken, das keine echte Verbeugung war, deutete Bainbridge an, dass die Unterhaltung damit für ihn beendet sei, und zog sich zurück.
Claire sah ihm erschrocken nach. »O je, was habe ich da gesagt? Ich fürchte, ich habe seine Gefühle verletzt.«
»Bestimmt nicht«, versicherte Evelyn ihr und setzte sich an den Tisch. Sie hob die schwere Silberkanne auf und schenkte den fertigen Milchkaffee ein. »Bainbridge verweist uns hin und wieder gern auf unsere Plätze. Er hat es bis heute nicht ganz verwunden, dass er für eine neureiche Familie in den ehemaligen Kolonien arbeitet. Deshalb nutzt er jede Gelegenheit, uns daran zu erinnern, dass wir minderwertige Wesen sind und es uns an der Vornehmheit des Geistes fehlt, um seine hervorragenden Dienste als Butler angemessen zu würdigen.«
Lachend setzte Claire sich der Mutter gegenüber und griff nach einem Törtchen. Der Teig war warm und locker, und in der Stachelbeermarmelade befanden sich zahlreiche ganze Früchte. Sie schloss die Augen und kaute zufrieden. »Hm … Wirklich himmlisch. Genauso lecker, wie ich sie in Erinnerung hatte. Vielleicht sogar noch besser.« Sie leckte sich die Finger und bekam plötzlich einen gesunden Appetit. Vor lauter Nervosität hatte sie morgens beim Frühstück keinen Bissen herunterbekommen.
»Bedien dich. Sie sind gut, nicht wahr?« Evelyn benutzte selbstverständlich eine silberne Kuchengabel. Sie aß den letzten Bissen, legte die Gabel hin und betupfte ihren Mund mit einer Ecke ihrer Serviette. Anschließend rührte sie ihren Kaffee eine ganze Weile um, obwohl sie keinen Zucker hingetan hatte.
»Ich muss es dich unbedingt fragen, Claire«, stieß sie endlich hervor. »Weshalb bist du weggelaufen?« Der Löffel landete mit einem leichten Schlag auf der Untertasse, ein deutliches Zeichen dafür, wie erregt Evelyn innerlich war. »Was ist passiert, Claire? Weshalb hast du dich so lange versteckt? Dein Vater und ich sind halb verrückt geworden vor Sorge.«
Claire beachtete die Anspielung auf Andrew nicht. »Ich hatte Angst«, antwortete sie aufrichtig. »Das Feuer im Blockhaus hatte mich furchtbar verstört. Vielleicht habe ich nicht ganz vernünftig gehandelt.«
»Das verstehe ich durchaus.« Evelyn beugte sich vor. Ihr
Atem ging flach und viel zu schnell. »Nach einem schrecklichen Ereignis benehmen sich die Menschen häufig seltsam. Sie stehen eine Weile unter einem Schock. Aber du bist volle sieben Jahre weggeblieben!« Sie brach ab und blickte verlegen auf den Schoß. »Ich bin deine Mutter, Claire. Bringst du es wirklich nicht fertig, mir zu sagen, was dich so lange von uns ferngehalten hat?«
Sie fragt, aber sie kennt den Grund längst, dachte Claire.
Die Törtchen lagen ihr plötzlich schwer im Magen. Sie weiß, dass ich vor
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