Feuerscherben
Angst.«
Bedächtig legte Evelyn ihr antikes Silbermesser neben die antike Silbergabel. »Angst wovor?«
»Sie glaubt, dass man sie umbringen will.« Bis jetzt war Ben gar nicht klar gewesen, wie gut er Diannas Verhalten verstand.
»Und? Hat sie Recht? Versucht jemand, sie umzubringen?«
»Möglicherweise.« Evelyns präzise Fragen klangen erstaunlich kühl. Ben schob seinen Stuhl zurück, denn er kam sich zwischen den gedrechselten vergoldeten Tischbeinen und den mit Samt gepolsterten Armlehnen plötzlich wie gefangen vor. »Sie ist davon überzeugt, dass das Feuer in Vermont nicht von Ted Jenkins gelegt wurde.«
»Die Polizei war sicher, dass sie den richtigen Mann festgenommen hatte.«
»Ich weiß.« Ben warf seine Serviette auf den Tisch und merkte, dass er immer gereizter wurde. »Hinzu kommt allerdings der Brand, der ausbrach, während Dianna bei uns in Florida war. Wodurch wurde er verursacht?«
»Ich habe mit dem Brandmeister gesprochen. Er glaubt, dass Hal Doherty oder Dianna Mason für das Feuer verantwortlich waren.«
»Dianna hat das Feuer nicht gelegt«, antwortete Ben. »Ich wette sämtliche Gewinne der Firma gegen ein Dutzend Donuts, dass sie nichts mit dem Brand zu tun hatte.«
Evelyn hob anmutig ihre Schultern. »Nach dem zu urteilen, was Andrew mir über Hal Doherty erzählt hat, wäre er durchaus imstande, solch eine Tat auch ohne einen Komplizen zu begehen.«
»Ich weiß. Darin stimme ich mit Andrew überein. Zumindest theoretisch.« Ben rieb seine Nackenmuskeln, die sich plötzlich schmerzlich verkrampft hatten. Er beugte sich über den Tisch und sah Evelyn fest in die Augen. Für einen Moment bemerkte er solch einen Schmerz darin, dass er instinktiv zurückwich. Dann hatte Evelyn sich wieder in der Gewalt.
»Was haben Sie, Evelyn?«, fragte er und vergaß alle Höflichkeit. »Was wissen Sie? Es gibt etwas, das Sie mir noch nicht gesagt haben, nicht wahr?«
»Natürlich nicht.« Evelyn wirkte wieder äußerst kühl und beherrscht. Doch Ben ließ sich nicht täuschen und konnte kaum noch an sich halten. Was in aller Welt war mit diesen Campbells los? Weshalb musste er jedes Mal bohren und graben, um auch nur die geringste Information zu erhalten?
»Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube?«, begann er. »Ich glaube, dass Dianna Mason Ihre Tochter Claire Campbell ist. Und ich finde, Sie sollten aus Ihrem Elfenbeinturm herauskommen und ihr einen Besuch machen.«
Evelyn stand auf und ging auf den Balkon. Sie murmelte nur ein einziges Wort zur Entschuldigung, bevor sie den Tisch verließ. Das war ein deutliches Anzeichen für ihre innere Erregung.
Ben folgte ihr.
»Wenn sie Claire ist – wo hat sie sich dann bisher aufgehalten und weshalb meldet sie sich ausgerechnet jetzt?«
»Auf beide Fragen kann ich Ihnen keine konkrete Antwort geben. Möchten Sie wissen, was ich vermute?« Sie drehte sich nicht um. »Ja.«
»Ich nehme an, Claire Campbell und eine junge Frau namens Dianna Mason haben sich kurz nach dem Brand des Blockhauses in Vermont, bei dem Claire verschwand, in einer Nervenklinik kennengelernt. Wahrscheinlich waren sich beide äußerlich ziemlich ähnlich, sodass man sie für Schwestern hätte halten können. Sie freundeten sich an und zogen nach der Entlassung in eine gemeinsame Wohnung.« Ben schwieg einen Moment, und Evelyn drehte sich wieder zu ihm.
»Reden Sie weiter«, forderte sie ihn auf. »Was passierte Ihrer Meinung nach anschließend?«
»Eine der beiden jungen Frauen kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben«, antwortete Ben.
Evelyn legte die Hände zusammen und löste sie wieder. »Welche von beiden?«
Ben sah sie fest an. »Das ist die entscheidende Frage«, erklärte er. »Ich vermute, es war Dianna Mason. Der Totenschein lautet allerdings auf Claire Campbell.«
»Wieso? Wie könnte solch ein Irrtum entstanden sein?«
»Die Überlebende musste das Opfer identifizieren. Beide Frauen waren sich sehr ähnlich, und beide waren von zu Hause weggelaufen. Außerdem war die Tote stark entstellt. Weshalb hätte man die Identifizierung bezweifeln sollen?«
»Die Papiere. Die Papiere in dem Wrack des Wagens.«
Äußerlich war Evelyn immer noch ruhig. Doch Ben erkannte an ihrer abgehackten Sprechweise, dass sie nicht in der Lage war, längere Sätze zu formulieren. Er betrachtete sie näher und merkte, dass sie die Fingernägel in die Handfläche drücken musste, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Sie schien sich kaum noch aufrecht halten zu können. Die Haut
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