Feuerscherben
ihr hineinzugehen und forderte ihn, nachdem sie Platz genommen hatten, höflich auf, von dem kalten Lachs, dem geeisten Spargel mit Holländischer Sauce und den hauchdünn geschnittenen Weißbrotscheiben mit Butter zu nehmen.
Ben war hungrig. Aber es wäre taktlos gewesen, in Evelyns Gegenwart kräftig zuzulangen. Deshalb nahm er nur winzige Portionen, knabberte an einer Spargelstange und war entschlossen, sich eine Riesenpizza zu bestellen, sobald er die Third Avenue erreicht hatte.
Das Essen sieht erheblich besser aus, als es schmeckt, stellte Ben fest. Vor sechs Monaten hatte Bainbridge sich in einem einzigartigen Temperamentsausbruch plötzlich geweigert, noch einen Tag länger im selben Haushalt wie Sharon Krüger zu bleiben. Nach dem heutigen Abendessen zu schließen, musste Evelyn einen hohen, Preis dafür zahlen, weiter von ihrem Butler hofiert zu werden. Ben hatte keine Ahnung, weshalb Bainbridge Sharon von Anfang an nicht hatte leiden können. Sie war nett und höflich und außerdem eine hervorragende Köchin. Der Butler hatte als Grund genannt, dass Sharon Tag und Nacht Anrufe von ihren männlichen Freunden erhielte, was den Haushalt erheblich störe.
Eigentlich hatte sich das Problem ohne weiteres lösen lassen, indem man Sharon als Gegenleistung für ihre Kochkünste einen eigenen Telefonanschluss legte, dachte Ben. Das wäre nicht allzu teuer gekommen. Doch Evelyn sah nicht so aus, als mache ihr das industriell hergestellte Schokoladengebäck zum Sorbet etwas aus. Vermutlich hatte sie den Unterschied nicht einmal bemerkt.
Ben war heute zum ersten Mal allein bei Evelyn Campbell zum Essen. Allerdings traf er regelmäßig bei Andrews offiziellen Einladungen und auf Wohltätigkeitsveranstaltungen mit ihr zusammen. Er kannte seinen Chef sehr gut und wunderte sich manchmal, weshalb er die Beziehung zwischen dem Ehepaar nicht recht einschätzen konnte. Während Evelyn in ihrem Lachs stocherte und von der neuesten Ausstellung mittelalterlicher Kunst im Metropolitan Museum erzählte, ertappte Ben sich dabei, sie nicht nur als Andrews Gattin, sondern als eigenständigen Menschen zu betrachten. Zu seinem Erstaunen wurde ihm klar, dass er nach sechs Jahren und gut vierzig Begegnungen nicht mehr über sie wusste als die nackten Daten ihrer Biografie.
Er blickte durch den vollgestopften Raum und fragte sich, weshalb jemand, der Ende des Zweiten Weltkriegs geboren worden war, seine Wohnung in Manhattan wie ein Herrenhaus in Philadelphia aus den Zwanzigerjahren einrichtete. Abgesehen von dem britischen Butler und der kühlen förmlichen Einrichtung, hatte Evelyn so altmodische Manieren, dass eine lebhafte Unterhaltung oder ein entspanntes Gelächter nicht möglich war.
Wenn man ihr zusieht, wie sie die Gastgeberin spielt, kann man sich gar nicht vorstellen, dass sie Diannas Mutter ist, dachte Ben. Ja, man kann sie sich überhaupt nicht als Mutter vorstellen. Andrew musste ein mutiger Mann sein, wenn er es gewagt hatte, sie zu schwängern. Er, Ben, würde es niemals über sich bringen, mit solch einem makellosen Eiszapfen ins Bett zu gehen.
Es war beinahe, als hätte Evelyn seine Gedanken erraten. Sie warf ihm einen ironischen Blick zu und setzte ihr Champagnerglas ab. Ben merkte, dass er rot wurde. Ein Anflug von Spott blitzte in ihren außerordentlich blauen Augen, das erste Anzeichen von Leben, das er heute Abend darin bemerkte. Instinktiv hielt er die Luft an. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Evelyn genauso wie Dianna ausgesehen. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war geradezu unheimlich.
Evelyn legte ihre Gabel auf den Tellerrand. »Mir scheint, wir haben jetzt lange genug über die Unzulänglichkeiten der modernen Kunst geredet«, sagte sie. »Weshalb wollten Sie mich so rasch wie möglich sprechen, Ben? Es klang wirklich dringend.«
»Wegen Dianna Mason«, antwortete er. »Ich habe sie heute in ihrem Atelier in Boston besucht.«
Evelyn tupfte ihre absolut sauberen Lippen mit einer Ecke ihrer makellosen Leinenserviette trocken. »So weit mir bekannt ist, hat Miss Mason zugegeben, eine Betrügerin zu sein.«
»Das ist richtig.« Ben setzte sein Glas ebenfalls ab. »Nur bin ich nicht sicher, ob ich ihr glauben soll.«
Evelyn mochte ein Eisblock sein, aber sie war nicht begriffsstutzig. »Können Sie mir einen einzigen Grund nennen, weshalb diese Frau zögern sollte, ihr Erbe in Anspruch zu nehmen, falls sie wirklich meine Tochter ist?«
»Ja«, erklärte Ben unverblümt. »Mir scheint, sie hat
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