Feuerscherben
muss seelisch ziemlich krank sein, wenn er deshalb sein eigenes Kind umbringt.«
»Seelisch krank oder krankhaft ehrgeizig.« Sonya drehte sich um und hielt ihr Glas in die Höhe. »Ich brauche noch einen. Darf ich?«
»Bedien dich. Wegen gestern Nachmittag … Ich muss mich bei dir entschuldigen, Sonya. Du hattest Recht, ich habe dir nicht die ganze Wahrheit erzählt. Es gibt wichtige Gründe, weshalb ich es nicht getan habe und es immer noch nicht kann. Aber was ich über Andrew gesagt habe, stimmt aufs Wort. Ich weiß, dass er versucht hat, Claire umzubringen. Und ich glaube nicht, dass er sich seitdem verändert hat. Ich habe den Verdacht, dass er selber das Gästehaus in Florida angezündet hat, weil er fürchtete, ich wäre Claire und würde ihm keine Ruhe mehr lassen. Deshalb bin ich abgereist. Ich hatte schreckliche Angst, Andrew Campbell konnte mich töten.«
Sonya schüttete ein paar Eiswürfel in ihren Wodka. »Ein Jammer, dass du mit dieser Geschichte nicht an die Presse herantreten kannst. Doch es würde dir niemand glauben.«
»Natürlich nicht. Du glaubst mir ja auch nicht«, antwortete Dianna. »Und du kennst mich seit Jahren. Wenn selbst du der Meinung bist, dass mein Urteilsvermögen in Bezug auf Andrew Campbell gestört ist, was soll dann ein anderer seriöser Reporter davon halten? Ich habe sechs Monate in einer Nervenklinik verbracht und möchte der Welt plötzlich weismachen, dass einer der populärsten amerikanischen Kandidaten für ein politisches Amt einen Mordversuch unternommen hat.« Sie lächelte bitter. »Höchstens ein Skandalblatt würde so etwas drucken, direkt neben einer rührseligen Liebesgeschichte.«
Sonya war auf ihrem dritten Rundgang durch das Atelier. Auch ihr zweites Wodkaglas leerte sich rasch. »Hör zu, unser gestriger Streit hatte nichts mit dir zu tun. Ich war wütend auf dich, weil das einfacher war, als auf mich selber wütend zu sein. Du hast mir nicht die ganze Wahrheit gesagt, aber ich habe es auch nicht getan.«
»Wieso?« Dianna sah die Freundin verblüfft an. »Wir haben doch gar nicht von dir gesprochen.«
Sonya lächelte kläglich. »Doch, das haben wir, meine Liebe, auch wenn du es nicht gemerkt hast.« Sie stellte das leere Glas auf die Werkbank und betrachtete die Fotos. Es waren Aufnahmen von Kolibris, die Zuckerwasser aus einer Vogeltränke tranken. Als sie wieder aufsah, bemerkte Dianna zu ihrem Erstaunen Tränen in den Augen der Freundin.
»Erinnerst du dich an letzten Sommer? Ich hatte erfahren, dass meine Mutter an Brustkrebs sterben würde, und reiste nach Wyoming, um ihr beizustehen.«
»Ja, natürlich erinnere ich mich.«
»Zwei Wochen verbrachte ich bei meiner Familie«, fuhr Sonya fort und griff nach ihrem Zigarettenpäckchen. »Ich glaube, es waren die schlimmsten vierzehn Tage meines Lebens.«
Diannas Stimme wurde vor Mitgefühl weich. »Es muss furchtbar sein, die eigene Mutter zu verlieren.«
»Ja. Und für manche Leute ist es noch schlimmer als für andere.« Sonya rauchte nervös. »Mom freute sich unwahrscheinlich, mich zu sehen. Sie konnte nicht viel reden. Deshalb sparte sie ihre Kräfte für wirklich wichtige Dinge auf. Zum Beispiel fragte sie mich, wann ich endlich heiraten und ihr Enkel schenken würde. Ich wies sie darauf hin, dass mein Bruder doch schon drei großartige Kinder hätte. Doch sie behauptete, sie hatte immer auf Enkelkinder von mir gehofft.«
Diannas Herz setzte vor Mitleid einen Schlag aus. »O je, das tut mir leid für dich, Sonya. Es muss schrecklich gewesen sein.«
Sonya lachte unbarmherzig. »Soll ich dir sagen, was passiert ist? Da meine Mutter im Sterben lag, hielt ich es für an. der Zeit, dass wir uns zur Abwechslung einmal die Wahrheit sagten. Also antwortete ich, dass ich sehr gern ein Baby haben würde, aber nicht sicher wäre, ob ich eines bekommen sollte. Ich sei nämlich lesbisch. Ich wisse nicht recht, was von Lesben zu halten sei, die sich bewusst als Single zu einer Mutterschaft entschlossen. Noch mehr mache mir der Gedanke zu schaffen, was in meinem Kind vorgehen würde, wenn es erfuhr, das sein Erzeuger ein unbekannter Spender aus der Samenbank war und seine Mutter bei dem einzigen Versuch, mit einem Mann zu schlafen, wie eine viktorianische Jungfrau ohnmächtig geworden war.«
Dianna merkte, dass ihre Freundin jeden Moment zusammenbrechen konnte. »Und was hat deine Mutter darauf geantwortet?«, fragte sie so behutsam wie möglich.
»Sie hat überhaupt nichts gesagt.« Sonya kniff
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