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Feuerschwingen

Feuerschwingen

Titel: Feuerschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Glück hatte ihm heute das Schicksal in die Hände gespielt, und er würde sich in Zukunft nie wieder erniedrigen lassen müssen.
    Vor Aufregung zitternd suchte er nun in dessen Büchersammlung nach den Dokumenten, die seine Freiheit bedeuten konnten. Nie hatte er etwas anderes gewollt, als einfach nur ein ganz normales Leben zu führen. Mit einer hübschen Frau, Kindern und einem erfüllenden Beruf.
    Und die Vorsehung hatte es gut mit ihm gemeint. Während der Sechzigerjahre hatte er ein Mädchen kennengelernt, das genauso gern wie er selbst die Tage in der Uni-Bibliothek verbrachte, anstatt, wie es damals üblicher gewesen war, das Studium damit zu verbringen, gegen irgendetwas zu demonstrieren. Es war die glücklichste Zeit seines Lebens. Bis zu jenem Tag, an dem das Unaussprechliche geschehen war. Noch immer wurde ihm übel, sobald er daran zurückdachte.
    Seinen Eltern ging es finanziell gut. Sie lebten mit seinen jüngeren Geschwistern in einem Haus auf dem Land, bauten ihr Gemüse selbst an und hielten sich Hühner und Schafe. Eines Nachts waren Einbrecher gekommen, hatten alle Bewohner gefesselt und waren vermutlich schnell wieder verschwunden. Erbeutet hatten sie etwas Bargeld, den Schmuck seiner Mutter sowie eine Münzsammlung.
    Vielleicht trugen sie wirklich keine Schuld daran, dass beim Durchsuchen der Schränke eine Kerze umgestürzt war. Für seine Familie kam jede Hilfe zu spät. Fortan konnte er nur noch an Rache denken. Er wurde streitsüchtig, launisch, trank zu viel. Seine Freundin verließ ihn, und am Ende verlor er sogar den Traumjob als Bibliothekar.
    Der Unbekannte in der Bar hatte ihm ein paar Drinks spendiert und danach Vergeltung und ein besseres Leben versprochen. Er hatte nicht übertrieben, jedenfalls was die Vergeltung betraf.
    Die beiden Einbrecher hatten nicht einmal mehr schreien können, als er mit ihnen fertig war und ihre nutzlosen Körper mithilfe seiner neuen Kräfte entzündete. Auf ein besseres Leben wartete er bis heute vergeblich. Natürlich hatte der Mann ihn reingelegt. Schließlich war er ein Dämon, doch als er begriff, dass er seine Seele für diese wenigen Minuten der Rache verkauft hatte, war es für eine Rückkehr zu spät.
    Neunundneuzig Jahre sollte er in seinen Diensten stehen, dann erhielte er seine Freiheit wieder, hatte der Seelenhändler, dem er auf den Leim gegangen war, behauptet. Bei der erstbesten Gelegenheit allerdings hatte er ihn an einen mächtigen Dämon verkauft, der gerade auf der Suche nach einem neuen Bibliothekar gewesen war. Erneut war er getäuscht worden. Im Gegensatz zu den Dunklen Engeln saßen die meisten Dämonen zeit ihres Lebens in der Unterwelt fest.
    »Was suchst du hier?«
    So unauffällig wie möglich steckte er das schmale Notizbuch ein, nach dem er gesucht hatte. Anschließend drehte er sich langsam um. Trotz des Schrecks, den er bekommen hatte, war er bemüht, eine höfliche Miene aufzusetzen, denn er kannte die Stimme.
    »Noth! Das Gleiche könnte ich dich auch fragen. Wenn ich mich nicht irre, dann bist du in diesem Haus unerwünscht.«
    »Aber du irrst, mein Lieber.« Mit freundlichem Lächeln kam Durivals Sohn näher.
    Der Impuls zu fliehen war beinahe übermächtig. Um sich nicht durch sein Zittern zu verraten, vergrub er beide Hände in den Hosentaschen.
    Nur weil dieser Dämon im Gegensatz zu seinem Vater, dem er beunruhigend ähnlich sah, über einwandfreie Umgangsformen verfügte und ihn scheinbar nichts aus der Ruhe brachte, war er nicht weniger gefährlich. Bisher hatte er sich aus Noths Machenschaften ebenso herausgehalten wie aus den Machtkämpfen, die seine zahlreichen Geschwister untereinander ausfochten. Das änderte jedoch nichts daran, dass Noth von Geburt an zu den einflussreichsten Prinzen der Unterwelt zählte. So jemand ließ sich nicht ohne Weiteres sein Erbe streitig machen. Er wollte es sich auf keinen Fall mit Noth verderben.
    Nonchalant zuckte er mit der Schulter und hielt das Amulett hoch. »Ich suche nach einer Möglichkeit, die Wirkung zu verstärken. Die Torwächter sind aufmerksamer geworden, und es wird immer schwieriger, unbemerkt an ihnen vorbeizukommen.«
    »Und dazu willst du dir also ein paar Seelen aus Durivals Sammlung ausleihen?« Dass Noth nicht fragte, um welchen Zauber es sich handelte, bewies, dass er nicht zu unterschätzen war.
    »Hältst du mich für verrückt?«
    »Nein, keineswegs. Nur für ein bisschen leichtsinnig.«
    Er konnte nicht verhindern, dass seine Augen größer wurden.

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