Feuerschwingen
überhaupt? Wenn nur dieser verdammte Nebel nicht so dicht wäre! Vorsichtig streckte sie die Hand nach ihm aus. Das Boot, auf dem sie sich offenbar befand, schaukelte heftiger. Bloß nicht zu schnell bewegen.
Möglichst langsam legte sie beide Arme parallel zu ihrem Körper und spreizte die Beine leicht, um notfalls mit sparsamen Bewegungen das Gleichgewicht halten zu können. Das Schaukeln ließ nach.
Lucian?
Nichts. Wahrscheinlich war es ohnehin besser, er erführe nicht von ihrem momentanen Zustand. Es gab keinen Grund, ihm auf die Nase zu binden, wie elend sie sich fühlte. Zumal ihm das Trinken überhaupt nichts auszumachen schien. Vielleicht waren Engel durch den Genuss von Ambrosia trainiert, oder in der Hölle soffen sie Feuerwasser. Mila kicherte. Die Erschütterung tat ihrem Kopf gar nicht gut. Sie stöhnte und hoffte, dass der Schlaf sie aus dieser erniedrigenden Situation erlösen würde. Erschöpft erlaubte sie ihm zurückzukehren und genoss es, wie er sich, einer dunklen Decke gleich, über ihrem Körper ausbreitete.
Als sie das nächste Mal aufwachte, ging es ihr bedeutend besser. Nur das wattige Gefühl hatte sich von seinem Platz hinter ihrer Stirn bis auf die Zunge vorgearbeitet. »Igitt!« Das merkwürdige Rauschen in den Ohren würde sie einfach ignorieren.
»Oh, fein. Du bist wach!«
Die Stimme klang aus weiter Ferne zu ihr, und Mila hatte zuerst Schwierigkeiten, sie einzuordnen. Lucian war es nicht. Sie klang beruhigend und irgendwie professionell, wie man es von einem Arzt erwarten würde. Eine Frauenstimme, aber weniger nasal als die ihrer Freundin Florence, deutlich dunkler als der heitere Sopran ihrer Pflegemutter und kultivierter als der für ihre leibliche Mutter typische Zungenschlag. Wobei die letzten beiden ohnehin von vornherein ausschieden. Die Pflegemutter lebte in Sussex, und Mama war tot.
»Juna?« Mühsam versuchte sie, sich aufzurichten.
»Du liebes bisschen. Komm, trink das. Danach geht es dir gleich besser.«
Ein Becher wurde ihr an die trockenen Lippen gedrückt, im Rücken spürte sie eine kleine Hand, die sie mit erstaunlicher Kraft aufrecht hielt. Mila trank … und hätte das bittere Zeug beinahe wieder ausgespuckt. »Ist das eklig!«, krächzte sie.
Die Augen hatte sie immer noch nicht geöffnet, versuchte es aber und half letztendlich mit den Fingern nach. Sie fühlten sich geschwollen an, als hätte sie geweint oder auf irgend etwas allergisch reagiert. Endlich erschien Junas Gesicht vor ihr. Verschwommen zwar, aber mitfühlend. »Es hilft!«, sagte sie erstaunt, als sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete.
»Sag ich doch. Was ist passiert?«
Mila runzelte die Stirn, während sie über die Frage nachdachte. »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich und beobachtete, wie Junas freundliches Gesicht einen grimmigen Ausdruck annahm.
»Was du jetzt brauchst, ist eine gute Tasse Tee. Dein Glück, dass mir langweilig war und ich Scones gebacken habe.« Einladend streckte sie die Hand nach ihr aus.
Folgsam erhob sich Mila, wobei sie leicht ins Schwanken geriet. Erst als sie an sich hinabsah, bemerkte sie, dass außer einem viel zu weiten T-Shirt nichts ihre Blöße bedeckte. »Oh!«
Lachend schob der Engel sie in Richtung Bad. »Wenn du Hilfe brauchst …«
»Nein danke, es geht.« Rasch schloss sie die Tür und lehnte sich gegen die kühle Wand. Ihre Zahnbürste lag vor dem Spiegel, daneben das Kosmetiktäschchen. Immerhin war sie nicht verschleppt worden, sondern befand sich in Lucians Cottage. Aber wo war er, und wieso fühlte sie sich so merkwürdig?
Vielleicht half eine Dusche ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Sie stellte das Wasser an. Es dauerte eine Weile, bis es richtig warm wurde, doch dann trat sie unter den breiten Strahl und genoss den prasselnden Regen auf ihrer Haut … bis die Temperatur ganz plötzlich sank und sie sich mit einem Schrei in Sicherheit bringen musste, um nicht sofort vor Kälte blau anzulaufen.
»Alles in Ordnung?« Besorgt sah Juna durch die Tür.
Mila drehte rasch den Hahn zu und griff nach einem bereitliegenden Handtuch. »Ich schwöre, da kamen Eiswürfel aus der Brause«, entgegnete sie bibbernd. »Jetzt bin ich wach!«
»O ja. Besonders luxuriös ist dieses Häuschen nicht; merkwürdig, dass Lucian es so lange aushält. Er ist wahrlich Besseres gewohnt.«
»Es ist gar nicht seins?«
»Aber nein, das Cottage gehört uns. Er wohnt hier nur, weil er …« Sie verstummte.
Mila hätte wetten können, dass eine feine
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