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Feuerschwingen

Feuerschwingen

Titel: Feuerschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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wieder.
    Bestimmt war dieses Versprechen ernst gemeint, nur vergingen die Jahre für Unsterbliche eben in einem anderen Tempo als für sie, die durchaus sterbliche Tochter zweier Engel. Sie war eine Abnormität, die Frucht einer verbotenen Liebe. Jahrelang waren ihre Eltern und sie verfolgt worden, selbst nach der Flucht aus Sankt Petersburg, die sie zurück nach England geführt hatte.
    Mila hielt den Kopf in beiden Händen und beschwor die Erinnerung herauf. Eine glückliche Kindheit, plötzliche Armut, die ständige Angst, entdeckt zu werden – all diese Gedanken waren nur noch in Fragmenten vorhanden.
    Der Traum von der Tanzkarriere, ein kleiner Junge, ein Engel mit bunten Tattoos. Mutter? Allein in der Dunkelheit.
    Ihr wurde übel.
    Eilig bemühte sie sich, an etwas anderes zu denken, und setzte sich auf. Diese Bilder ließen sie niemals ganz los, beschatteten sie bis in den Schlaf hinein. Blut, Schwerter und immer wieder Engel. Das Schlimmste aber war, dass sich die Dämonen der Vergangenheit neuerdings wieder häufiger in ihren Träumen breitmachten …
    Inzwischen war es ein Uhr, und nach einem letzten halbherzigen Versuch, die Abrechnungen zu kontrollieren, gab sie auf.
    Draußen schien die Sonne, und Mila würde tun, was sie schon lange vorgehabt und sich bloß nicht getraut hatte. Sie wollte die weitläufige Gartenanlage erkunden. Vorher ging sie noch einmal in den Salon, wo die Maler bereits die Decke und zwei Drittel der Wände mit einem Farbton versehen hatten, der eine einzelne Wand in der passenden Umgebung veredelt hätte, in der georgianischen Architektur von Stanmore House aber eher an ein Blutbad erinnerte.
    Sie besprach kurz mit dem Maler, der nun wieder ganz neutral wirkte, dass er und sein Team ins Wochenende gingen, sobald die erste Farbschicht aufgetragen war. Danach floh sie durch eine der hohen Terrassentüren in den Garten. Wie erwartet beruhigten frische Luft und Vogelgezwitscher ihre Nerven , und bald schon schlenderte sie zwischen gestutzten Buchsbaumhecken und sorgfältig bepflanzten Blumenbeeten entlang. Für eine Weile setzte sie sich auf eine der Gartenbänke, um den Enten zuzusehen, bevor sie schließlich in einem weiten Bogen zum Haus zurückkehrte.
    Auf der Terrasse war ein Tisch gedeckt, und ehe sie sich fragen konnte, für wen das wohl sein mochte, erschien Janet mit einem Tablett in den Händen. »Ich habe einen kleinen Imbiss für Sie vorbereitet. Die Köchin hat heute leider Ausgang.«
    »Für mich? Und was essen Sie?« Sie hatte gefragt, ohne zu überlegen, und wusste nun nicht so genau, was sie tun sollte.
    »Ich habe schon gegessen.« Der Haushälterin sah man an, dass sie sich amüsierte. Bestimmt wusste sie längst, wie schwer sich Mila zuweilen mit den Regeln der konservativen Oberschicht tat, und vermutlich war es ihr hoch anzurechnen, dass sie darüber hinwegsah, statt sie dafür zu verachten.
    »Also gut, erlauben Sie …« Mila wollte ihr wenigstens das Tablett abnehmen.
    Janet erschrak, und am Ende lief rote Himbeersoße über Milas T-Shirt. »Tut mir leid!« Schnell griff sie nach einer Serviette und wischte sich das klebrige Zeug vom Bauch, bevor es im Hosenbund verschwinden konnte. Noch mal gut gegangen.
    Das Shirt allerdings war nicht mehr zu retten. Mit dem schmutzigen Tuch in der Hand überlegte sie. Der Imbiss duftete verführerisch, ihr Magen knurrte. So schmutzig wollte sie aber nicht bleiben, und ins Rose Cottage zu laufen, kam nicht infrage. Das Essen würde unterdessen kalt werden. »Ich ziehe mich nur kurz um. Anthonys Zimmer ist im Dachgeschoss, oder?«
    Sekundenlang starrte Janet sie regungslos an. Dann nickte sie. »Ja, die Gesindestiege hoch und dann gleich links.«
    Während des gesamten Wegs dachte Mila über das Wort Gesindestiege nach und über die Tatsache, dass sie sofort gewusst hatte, was gemeint war. Ich bin schon genauso versnobt wie Lady Margaret. Der Gedanke brachte sie zum Lachen. Waren es nicht immer die Außenseiter, die sich besonders um Symbole der Dazugehörigkeit bemühten? Die Texanerin Maggy gab sich als Lady aus, und Mila versuchte verzweifelt, die Regeln dieser Gesellschaftsschicht zu begreifen, zu der sie niemals gehören würde. So weit auseinander, wie sie bisher gedacht hatte, waren sie beide womöglich gar nicht.
    Falls sie geglaubt hatte, die oberste Etage wäre kalt und zugig, hatte sie sich getäuscht. Der Korridor war zwar fensterlos, wirkte aber dank der geschickt platzierten Beleuchtung überhaupt nicht düster.

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