Feuerschwingen
verschiedene Entwürfe ausgebreitet, dazu Musterbücher und Farbproben. Am Fenster stand Anthonys Schreibtisch, den sich Mila und Florence für die Dauer ihres Aufenthalts mit ihm teilten. Allerdings hatte sie ihn bisher kein einziges Mal in diesem Raum arbeiten sehen. Weil es hier tagsüber oftmals wie in einem Taubenschlag zuging, hatte er sich in sein Apartment unter dem Dach zurückgezogen. Um sich besser konzentrieren zu können, zumindest nahm sie das an. Dort oben war sie noch nie gewesen.
Der Maler stand vor ihr und sah sie erwartungsvoll an.
»Nehmen Sie bitte Platz!« Mila wies auf einen der bequemen Stühle, setzte sich ebenfalls und schlug ein Bein über. Ihr war bewusst, dass der Mann sie genau musterte. Ihre Jeans hatte einen Riss in Kniehöhe, sie war aufgekrempelt, und man sah die schlanken Fesseln. Das T-Shirt saß ziemlich eng, und ausgewaschen war es auch noch. Würde er sie jetzt nicht mehr ernst nehmen?
Doch die Sorge war offenbar unbegründet. »Ich möchte nur sagen, dass Sie meine volle Unterstützung haben«, sagte er.
»Danke sehr, ich weiß das zu schätzen.« Herzlich erwiderte sie sein schüchternes Lächeln.
»Es wird Gerede geben, wenn die Leute diese …« Er suchte sichtbar nach Worten, und der Begriff Scheußlichkeiten hing sekundenlang unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft.
Schnell sagte Mila: »Gewiss, Lady Margaret …« Sie wusste nicht, wie sie ihre Auftraggeberin in Schutz nehmen sollte.
Als hätte er sie nicht gehört, redete er weiter: »Man wird es Ihnen und Miss Florence anlasten.«
Natürlich hatten sie das auch schon diskutiert. Aber Mila war der Meinung, die bisher von ihnen gestalteten Objekte trügen eine so eindeutige Handschrift, dass niemand auf die Idee kommen konnte, die geschmacklosen Veränderungen in Stanmore House gingen auf ihr Konto. Plötzlich jedoch kamen ihr Zweifel . Sie hatten in diesem Jahr einiges in die Firma investiert und brauchten das Geld, das dieser Auftrag einbringen sollte, dringend. Dieses Argument hatte Florence am Ende überzeugt. Und wenn sie sich irrte, wie es ihr Bauchgefühl schon die ganze Zeit signalisierte?
»Das wäre nicht wünschenswert, könnte allerdings passieren«, stimmte sie dem Malermeister schließlich zu.
»Es wird passieren«, sagte der trocken. »Aber wenn man mich fragt oder meine Leute, werden wir sagen, wie es wirklich war.«
»Danke!«, sagte sie leise und blickte den Mann über den Rand ihrer Sonnenbrille an, wobei sie darauf achtete, dass er nicht allzu viel von den hellen grünen Augen sah, die schon so viele Menschen in Erstaunen versetzt hatten.
»Ich könnte Ihr Großvater sein. Deshalb möchte ich Ihnen einen Rat geben: Erfüllen Sie Ihre Verträge, so schnell es geht, und dann nichts wie weg von hier.« Er erhob sich. »Stanmore House ist nicht mehr das, was es einmal war.« Abrupt wandte er sich ab und ging zur Tür. Dort sah er sich, die Hand bereits auf der Klinke, noch einmal um. »Wir sind im Zeitplan. Der zweite Anstrich wird am Montag gemacht, und wenn nichts schiefgeht, sind wir bald fertig. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
Man konnte nicht behaupten, dass sich Milas Laune nach diesem Gespräch gehoben hätte. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und gestattete sich zum ersten Mal seit der Ankunft vor drei Wochen einen genaueren Blick auf ihre Umgebung. Dabei half ihr ein besonderer Sinn, der ausgesprochen nützlich sein konnte, aber auch gefährlich – zog er doch unweigerlich die Aufmerksamkeit anderer magischer Geschöpfe auf sich, wenn er nicht äußerst besonnen eingesetzt wurde. Mila ging dieses Risiko nur selten ein, und in letzter Zeit hatte sie es so gut wie gar nicht mehr gewagt. Doch nun öffnete sie sich behutsam und versuchte sich daran, die Schwingungen aufzunehmen, die jeder Ort besaß, ob Haus, Feld oder Straßenkreuzung.
Es dauerte eine Weile, bis sie etwas wahrnahm. Trainiert, ihre Magie zu verbergen, als normaler Mensch durchzugehen und einen großen Bogen um diesseitige Wesen zu schlagen, schien sie ihre Begabungen allmählich zu verlieren. Wahrscheinlich war genau dies Gabriels Plan. Der Wächterengel und himmlische Lehrmeister hatte die magischen Kräfte so tief in ihr versiegelt, dass sie selbst dann kaum noch darauf zugreifen konnte, wenn es zu ihrem eigenen Schutz geschah. Natürlich hatte sie versucht, mit ihm darüber zu sprechen. Anstatt ihr jedoch zu antworten, war er einfach davongeflogen. Es sind schwierige Zeiten. Keine Sorge, ich komme
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