Feuerschwingen
herüber. Sollte sie sich geirrt haben? Aber nein, ihr Instinkt verriet ihr, dass sich eine fremde Person nicht weit entfernt auf der anderen Seite befand. Entschlossen drückte sie die Klinke herunter. Mit Schwung stieß sie die Tür auf, presste sich sofort danach flach an die Wand und rief: »Stehen bleiben!«
Nichts geschah. Nach einer Weile sah sie vorsichtig um die Ecke. Kaum sichtbar zeichneten sich die gegenüberliegenden Fenster ab. Ansonsten herrschten Dunkelheit und gespannte Stille. Wer auch immer sich in dem Büro befand, schien zur Statue erstarrt zu sein. Dennoch wusste sie, er war nicht fort.
»Machen Sie das Licht an, und kommen Sie heraus!«
Wieder erhielt sie keine Antwort. Es war, als hielte das gesamte Haus erwartungsvoll den Atem an. Mila rang um Geduld. In einer Situation wie dieser gewann oft derjenige, der die besseren Nerven hatte. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit wurde es ihr zu dumm. Vorsichtig fasste sie um die Ecke, um das Licht einzuschalten und dabei trotzdem nicht ihre Deckung aufzugeben.
Ein Fehler!
Sie hatte den Schalter noch nicht erreicht, da packte jemand ihr Handgelenk und zog sie mit enormer Kraft herein. Mila wäre gestürzt, hätte der Angreifer sie nicht mit eisernem Griff an sich gepresst gehalten.
Trotz des Schrecks gab sie keinen Laut von sich, ihr Gehirn funktionierte wieder. Kühl registrierte es Details , die zu kennen schon bald überlebenswichtig sein könnte. Er war etwa zehn Zentimeter größer als sie, eher athletisch gebaut. Kein Bodybuilder, entschied sie. Aber zweifellos trainiert. Nichts an diesem Körper wirkte weich oder gar nachgiebig. Er roch gut. Doch das tat nun wirklich nichts zur Sache. Gute Nerven hatte der Kerl obendrein, denn er schwieg ebenso hartnäckig wie sie, als stünde ihm alle Zeit der Welt zur Verfügung, bevor er den nächsten Schritt machte. Ein ahnungsloser Beobachter hätte glauben können, sie seien Liebende, so dicht standen sie voreinander. Doch ein Liebhaber hätte ihr kaum die Arme auf den Rücken gedreht, was äußerst unangenehm, wenn auch nicht allzu schmerzhaft war.
Um sich besser konzentrieren zu können, schloss sie die Augen. Sich im Raum zu orientieren, bevor ihr Gegner etwas unternahm, war enorm wichtig, und sie sandte ihre Gedanken so behutsam wie möglich in die Nacht hinaus. Dort drüben war der Schreibtisch des Viscounts, links von ihr stand eine kleine, aber schwere Bronzefigur im Regal – leider zu weit entfernt, um sie als Waffe in Betracht zu ziehen. Was nun? Dieses Mal musste es quick & dirty gehen. Für Raffinesse war keine Zeit. Leise stöhnend drehte sie den Kopf, um ihn abzulenken.
Es funktionierte.
Er gab ihr etwas mehr Bewegungsfreiheit, und Mila zögerte nicht. Mit aller Kraft biss sie ihm in den Arm. Als er daraufhin den Griff weiter lockerte, zog sie mit einem Ruck das Knie hoch.
Der Laut, den er von sich gab, signalisierte eher Überraschung als Schmerz. Dennoch ließ er für den Bruchteil einer Sekunde ihre Handgelenke los.
Ohne auf eine bessere Gelegenheit zu warten, duckte sie sich aus der Umklammerung und sprang zurück, jedoch nur, um sofort anzugreifen. Seine Proportionen hatte er ihr durch die innige Umarmung ja verraten. Mit nur einem gezielten Kampftritt konnte es ihr gelingen, ihn auszuschalten.
Sie hechtete nach vorn, trat kräftig zu und traf ihn mit nahezu tödlicher Präzision. Glaubte sie jedenfalls, bis kurz vor dem Ziel irgendetwas die Stoßrichtung ablenkte, was sie das Gleichgewicht verlieren und seitlich zu Boden stürzen ließ. Der Atem explodierte in ihren Lungen, doch Mila rollte sich trotz der Schmerzen sofort zusammen und war im Nu wieder auf den Beinen. Der nächste Angriff wurde ebenfalls versiert abgewehrt, und auch alle anderen Bemühungen, den Gegner mittels lange trainierter Kampftechniken zu überwältigen, waren erfolglos. Inzwischen ging Milas Atem schneller, während der andere weiterhin keinen Laut von sich gab.
Obwohl ein normaler Mensch in dieser Dunkelheit ganz sicher weniger gut sehen konnte als sie und es selbst ihr schwerfiel, seine Konturen auszumachen, ahnte dieser Kerl offenbar jeden ihrer Tricks voraus. Besonders ärgerlich fand sie, dass er ihre Versuche zwar abwehrte, ansonsten aber nichts unternahm. Fast so, als amüsiere er sich über sie. Vielleicht war es das, was ihr noch einmal genügend Kraft gab, um einen neuen Angriff zu starten. Sie fingierte einen Tritt und ließ sich in letzter Sekunde fallen. Den Schwung nutzte sie geschickt
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