Feuersee
der
Schlafzeit in die Stadt hineinzugelangen würde nicht besonders
schwierig sein.
Es gab nur ein Haupttor, das von Toten bewacht wurde. Doch Nekropolis,
ein
Netzwerk von Tunneln, Höhlen, Grotten, Stollen und
Schächten, hatte darüber
hinaus zahllose Ein- und Ausgänge, zu viele, um vor jeden
einen Posten zu
stellen, besonders, da es bisher nie einen Feind gegeben hatte, vor dem
man
sich schützen mußte.
»Aber jetzt gibt es einen Feind«, sagte
Jera. »Vielleicht
wird der Herrscher Befehl geben, all diese Rattenlöcher zu
stopfen.«
Aber Tomas war zuversichtlich; er führte an,
daß
der Feind sich schließlich am anderen Ufer der Feuersee
befände und nicht vor
der Stadt. Jera schien Zweifel zu haben, aber Jonathan erinnerte sie
daran, daß
Tomas hoch in der Gunst des Herrschers stand und mit seiner Denkweise
vertraut
war. Zu guter Letzt stimmten alle überein, daß man
versuchen würde, durch die
Rattenlöcher in die Stadt zu gelangen. Blieb als Problem der
Hund.
»Wir könnten ihn hierlassen«,
schlug Jera vor,
die das Tier nachdenklich betrachtete.
»Ich fürchte, er würde nicht
bleiben«, wandte
Alfred ein.
»Da hat er recht«, bemerkte Jonathan
halblaut zu
seiner Frau. »Der Hund wollte nicht einmal tot
bleiben!«
»Er darf aber nicht gesehen werden. Kaum einer
in Nekropolis wird uns einen zweiten Blick schenken, aber es findet
sich
bestimmt ein pflichtbewußter Bürger, der gleich
meldet, daß ein Tier in der
Stadt frei herumläuft.«
Alfred hätte ihnen sagen können,
daß es keinen
Grund gab, sich Gedanken zu machen. Und wenn man den Hund wieder in
einen
Tümpel mit kochendem Schlamm warf oder in einen Magmapfuhl,
solange Haplo
lebte, würde der Hund früher oder später
wieder auftauchen. Nur wußte der
Sartan nicht, wie er diese Gewißheit in Worte fassen sollte.
Er verfolgte
schweigend die Diskussion, bis sich endlich herausstellte,
daß ihre Lösung
vorsah, sowohl ihn als auch den Hund zurückzulassen.
Besonders der Graf befürwortete diesen
Entschluß. »Ich habe Wiedergänger gesehen,
die seit fünfzig Jahren tot waren
und besser zu Fuß als der Kerl da!« sagte er spitz
zu seiner Tochter.
Nur wenige Minuten zuvor hatte Alfred sich fast
den Hals gebrochen, als er auf der Treppe eine Stufe verfehlte.
»Ihr seid hier viel sicherer«, redete Jera
ihm
gut zu. »Nicht, daß unser Vorhaben besonders
gefährlich wäre, aber trotzdem …«
»Ich komme mit«, beharrte Alfred. Zu
seiner
Überraschung fand er bei Tomas Unterstützung.
»Der Meinung bin ich auch«, sagte der
junge Mann
lebhaft. »Ihr solltet uns wirklich begleiten.« Er
nahm Jera beiseite und
flüsterte mit ihr. Alfred wurde es heiß unter dem
schütteren Haupthaar, als er
den prüfenden Blick ihrer gescheitem Augen auf sich ruhen
fühlte.
»Ja, vielleicht habt Ihr recht.«
Sie trat zu ihrem Vater und redete auf ihn ein.
Alfred strengte die Ohren an und erhaschte ein paar
Gesprächsfetzen: »… sollten
ihn nicht zurücklassen … möglich,
daß die Soldaten … du weißt doch, was
ich dir
erzählt habe … den Toten
getötet!«
»Nun gut«, gab der alte Mann widerwillig
nach.
»Aber du wirst ihn doch nicht mit in den Palast nehmen, oder?
Er wird über
irgendwas stolpern, und wir sind verloren!«
»Nein, nein«, beschwichtigte ihn Jera.
»Aber
was«, fügte sie aufseufzend hinzu, »fangen
wir mit dem Hund an?«
Schließlich beschlossen sie, es darauf ankommen
zu lassen. Wie Tomas zu bedenken gab, würden sie
während der Schlafzeit in der
Stadt unterwegs sein, und die Möglichkeit, auf einen lebenden
Bürger zu
treffen, der wegen des Hundes ein Aufhebens machte, war verschwindend
gering.
Zur geplanten Stunde erreichten sie Nekropolis
auf Nebenstraßen und Schleichpfaden. Die
Hauptstraße, die zum Tor führte, war
verlassen. Düster und abweisend ragten die Stadtmauern empor.
Man hatte die
Gaslampen gedrosselt, und das einzige Licht, eine wabernde,
rötliche Helligkeit
kam von der fernen Magmasee. Nachdem sie aus der Kutsche gestiegen
waren,
folgten sie Tomas zu einer schwarzen Öffnung in der
Höhlenwand. Sämtliche
Einwohner kannten die Rattenlöcher, wie man sie nannte, und
machten Gebrauch davon,
denn es war weniger umständlich, als das Haupttor zu benutzen
und sich durch
die verstopften Tunnelstraßen zu drängen.
»Wie will der Herrscher diese Zugänge gegen
eine
feindliche Armee verteidigen?« flüsterte Jera,
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