Feuersee
tun. Schließlich hörten sie auf, sich
Vorwürfe zu machen, und zu
guter Letzt glaubte man, daß die Ära des Sterbens
der Nichtigen Schicksal war
und unabwendbar.«
Alfred sagte nichts, sondern schüttelte nur
traurig den Kopf.
»Während diese Zeit«, setzte
Jonathan seinen
Bericht fort, »wurde in unserem Volk mit dem Studium der
Kunst der Nekromantie
begonnen.«
»Der verbotenen Kunst«,
berichtigte
Alfred, aber so leise, daß der Herzog es nicht
hörte.
»Nun, da sie der Sorge um die Nichtigen ledig
waren, stellten unsere Vorfahren fest, daß sie in dieser Welt
recht angenehm
leben konnten. Sie entwickelten eiserne Schiffe, mit denen sie die
Feuersee
befuhren. Überall in Abarrach entstanden neue Kolonien, der
Handel kam in Gang.
Das Reich Kairn Nekros wurde gegründet. In jeder Beziehung
wurden Fortschritte
gemacht, so auch auf dem Gebiet der Nekromantie. Bald lebten die
Lebenden von
der Arbeit der Toten.«
Ja. Alfred sah es in Jonathans Worten. Das Leben
in Abarrach war gut, der Tod auch. Doch plötzlich, als
wäre ein unsichtbarer
Zenith überschritten, fielen Schatten auf das Goldene
Zeitalter.
»Die Feuersee sowie alle Magmaseen und
-flüsse
kühlten ab und schrumpften. Reiche, die zuvor Handelspartner
gewesen waren,
wurden zu erbitterten Feinden, horteten die kostbaren
Nahrungsvorräte und
kämpften um die lebenspendenden Kolosse. Die ersten Kriege
wurden geführt. Ich
glaube, es waren eher Scharmützel. Richtige Kriege«,
meinte Jonathan ernst,
»kamen erst später. Damals schienen unsere Vorfahren
noch keine große Erfahrung
auf dem Gebiet zu haben.«
»Selbstverständlich nicht!« sagte
Alfred streng.
»Wir verabscheuen Krieg. Wir sind die Verkünder des
Friedens!«
»Ihr könnt Euch diesen Luxus
erlauben«,
erwiderte Jonathan ruhig. »Wir konnten das nicht.«
Alfred fühlte sich betroffen von den Worten des
jungen Herzogs. War Frieden ein Luxus nur für reiche Welten?
Er dachte an Prinz
Edmunds Volk, wie zerlumpt es aussah, wie die Kinder, die Alten
dahinsiechten,
während es in dieser Stadt Nahrung gab. Wärme. Was
würde ich in dieser Lage
tun? Schicksalsergeben mit ansehen, wie meine Kinder sterben,
demütig selbst
den Tod erwarten? Oder würde ich kämpfen? Von
Zweifeln geplagt, rutschte Alfred
im Sessel hin und her. Ich weiß, was ich tun würde,
dachte er bitter. In
Ohnmacht fallen!
»Im Lauf der Zeit lernte unser Volk das Handwerk
des Krieges.« Jonathan trank einen Schluck Kairntee.
»Die jungen Männer wurden
zu Soldaten ausgebildet, Armeen aufgestellt. Zuerst setzte man Magie
als Waffe
ein, aber das verbrauchte zuviel von der Kraft, die man zum
Überleben brauchte.
Und so kam bei uns ein neues Handwerk zu Ehren – der
Waffenschmied. Schwerter
und Speere sind barbarisch im Vergleich zu Magie, aber wirksam. Aus
Scharmützeln wurden Schlachten, die Entwicklung
führte unausweichlich zu dem
großen Krieg, der jetzt ungefähr ein Jahrhundert
zurückliegt – dem
Auswandererkrieg.
Eine mächtige Zauberin namens Bethel behauptete,
einen Weg aus dieser Welt gefunden zu haben, und rief zum Exodus auf.
Binnen
kurzem hatte sie eine große Anhängerschaft um sich
versammelt. Der Weggang all
dieser Leute wäre ein gewaltiger Aderlaß
für die ohnehin im Schwinden begriffene
Bevölkerung von Abarrach gewesen. Ganz zu schweigen von der
Tatsache, daß man
fürchtete, was geschehen könnte, wenn das
›Tor‹, wie sie es nannte, sich
öffnete. Wer konnte wissen, welche unbekannte,
womöglich feindliche Macht davor
lauerte, um uns zu überrennen und die Herrschaft an sich zu
reißen?
Der Herrscher von Kairn Nekros, Kleitus VII.
verbot Bethel und ihren Anhängern zu gehen. Sie verweigerte
den Gehorsam und
führte ihre Jünger über die Feuersee zum
Pfeiler von Zembar, wo alle, die
willens waren, ihrem Wort zu vertrauen, sich versammeln sollten. Der
Krieg
zwischen den beiden Parteien tobte etliche Jahre mit wechselndem
Schlachtenglück, bis Bethel verraten wurde und in
Gefangenschaft geriet. Auf
dem Schiff, das sie zurück über die Feuersee bringen
sollte, um vor Gericht
gestellt zu werden, entschlüpfte sie ihren Bewachern und
stürzte sich in die
flüssige Lava, um zu verhindern, daß ihr Leichnam
wiederbelebt wurde. Bevor sie
sprang, rief sie den Leuten an Deck zu, was später als die
›Prophezeiung des Tores‹
Verbreitung fand.«
Alfred sah vor seinem inneren Auge die Frau am
Bug stehen
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