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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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die neuerdings angeboten werden, richtige Expeditionen über zehn Tage und mehr in den Norden, bis an die chinesische Grenze, bisher absolutes Tabuland für den Tourismus. Oder den tückischen Chindwin hinauf, durch Gegenden, wo die Welt stillsteht, mit Dörfern, zu denen keine Straße führt. Aber diese Touren gibt es nur bei ganz bestimmten Wasserständen, höchstens zwei- oder dreimal im Jahr. Nur in seiner unteren Hälfte ist der Irrawaddy ganzjährig schiffbar. Ich hatte deshalb die kleinste Route gewählt, die ersten 200 Kilometer von Mandalay bis zur Tempelstadt Pagan, in drei Tagen und zwei Nächten. Als Einstiegsdroge gewissermaßen. Aber dazu mussten wir erst einmal unser Schiff finden.
    Von der kleinen Straße aus, auf der wir den Fluss entlangfuhren, sahen wir es jedenfalls nicht. Nicht mal den Fluss selbst. Denn Mitte November, einen Monat nach Ende der Regenzeit, ist der Wasserspiegel längst wieder im Sinken, da muss man schon mehrere Meter über den Uferdamm nach unten klettern. Fast eine Stunde war das Taxi unterwegs, dann hatten wir endlich die Anlegestelle erreicht. Jedenfalls die Anlegestelle von Don Williams: ein armseliger Pier aus ein paar morschen Brettern. Leider ohne Schiff. Und auch weit und breit kein Mensch.
    Wir waren ratlos und zunehmend nervös, denn in einer knappen Stunde sollte die »Pandaw« ablegen. Da Birma noch zu weiten Teilen ein glückliches, handyloses Land ist, gab es auch keinerlei Möglichkeit, im Hotel nachzufragen oder wenigstens Mr. Williams zu beschimpfen. Also konnten wir nur das tun, was in Asien im Falle von Frust, Ärger oder Peinlichkeit vorgeschrieben ist: lächeln. Oder es wenigstens versuchen, denn als Europäer bringt man in solchen Fällen kaum mehr zustande als jene verzerrte Grimasse, die ein Gerichtsmediziner im Leichenschauhaus als Risus sardonicus diagnostizieren würden, das tödliche Ende des Wundstarrkrampfs.
    Unser Taxifahrer, der ebenfalls lächelte — wenn auch um einiges lebendiger — , hatte einen Schatten spendenden Feigenbaum aufgesucht, den heiligen Baum Buddhas, und ebenso wie der große Fürst des Friedens hatte er dort die Erleuchtung: Hm, er wisse jetzt, wo das Schiff sein könnte: nämlich an einem richtigen Pier. Und machte sich mit uns auf den Rückweg.
    Nach einer halben Stunde hielten wir tatsächlich an einem richtigen Pier. Solides Holz, frisch gestrichen, mit bequemer Treppe über die Uferböschung und sogar ein Wärterhäuschen dazu. Aber leider kein Schiff. Und auch kein Mensch. Nur ein Gitterzaun rundherum, mit einer großen Tafel, der ihn als Anlegestelle für den Luxuskreuzer der Orientexpress-Linie auswies, einen ehemaligen Rheindampfer übrigens, der im Wochenrhythmus von Yangon nach Mandalay gleitet und wo man abends Krawatte trägt und gar nicht aus dem Fenster zu schauen braucht, weil in der Kabine Videofilme über die Landschaft laufen, das Ganze für 2000 Euro pro Nase. Aber was brauchten wir einen falschen Rheindampfer, wo doch echte Rheinländer auf uns warteten...
    Jetzt setzte dieses gewisse Gefühl ein, das jeder Reiseprofi aus eigenem Erleben bestens kennt und gegen das es trotz aller Welterfahrung keine Abhärtung gibt — die »Anschluss-Panik«: Wenn am Bahnhof die Parkgarage überfüllt ist, aber der Zug schon wartet. Oder wenn dieser kurz vor dem Flughafen auf freier Strecke plötzlich stehen bleibt und ewig nicht weiterfahren will. Oder wenn man vom ohnehin schon verspäteten Flieger in einen anderen umsteigen will, aber die Tür nicht geöffnet wird, weil der Zubringerbus noch nicht da ist. Eine innere Starre nimmt dann nach und nach den Körper in Besitz, während gleichzeitig das Herz schneller schlägt, die Miene verhärtet sich, um Gelassenheit vorzutäuschen, aber man kann nicht mehr lesen und will nicht mehr reden, und selbst die Hassbriefe, die man jetzt im Geiste an die Bahn, die Fluggesellschaft oder — im Zweifelsfall — an Wolpers diktiert, bringen keine Erleichterung.
    Er war ein guter Mann, unser Taxifahrer, er spürte unsere Ängste, vielleicht roch er sie auch. Er raste zurück Richtung Mandalay und tat etwas, was ich sonst nur aus amerikanischen Krimi-Serien kenne: Wo immer er einen Menschen sah, sprang er aus dem Auto und hielt ihm den Umschlag mit dem Schiffsticket vor die Nase, auf dem sich ein Bild der »Pandaw« befand: »Kennen Sie dieses Schiff?«
    Wir waren längst wieder in den Vororten von Mandalay, als wir an der Abzweigung jener Straße, die uns vor zwei Stunden den Fluss

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